Ich weiß, warum ich das mache, ich weiß auch, dass es Sinnvolleres gibt – das Interview mit Passant

Passant war, ich denke, das kann man so behaupten, eines der aktivsten Streetfiles-Members, insbesondere was die Anzahl der hochgeladenen Bilder anbelangt: im April wurde sein 5000. Bild (!) upgeloaded – gab es bei SF eigentlich Mitglieder, die mehr Fotos hatten? Der ganz große Teil der Bilder war Frankfurter-Kram, was die Präsenz an Frankfurter-Fotos im Netz bzw. speziell auf SF enorm gespusht hatte. Mittlerweile ist Streetfiles leider tot, damit auch der virtuelle Passant – aber keine Angst: das ganze geht bei dem universaldilletanten auf flickr und hier auf dem Blog weiter..

Was ihn eigentlich an Graffiti/Streetart so stark interessiert, seit wann er Kunst im Öffenltlichen Raum dokumentiert und viele weitere Fragen haben wir dem Passanten gestellt: here we go..

1. Wann hast du angefangen dich für Graffiti / Streetart zu interessieren und wann hast du begonnen dies zu dokumentieren?

Graffiti, das waren schon früher die „Coolen“. Bei der Coolness war mir immer schon ein bisschen viel Fassade und Verpackung dabei, aber das Ergebnis an den Wänden fand ich damals schon interessant. Das fiel mir vor allem auf, als ich mit der Kamera nochmal in meiner Kindheitserinnerung unterwegs war – die Pieces auf dem Schulweg haben sich eingeprägt, sie sind ja teilweise auch noch da. Und teilweise weiß ich auch noch, was an den Wänden mittlerweile schon lange nicht mehr steht.

Als ich nach Frankfurt umgezogen bin, bin ich viel mit dem Rad unterwegs gewesen, um mir erstmal einen Eindruck von der Stadt zu machen, in der ich da gelandet bin. Da bin ich auch über viele ältere Pieces gestolpert, habe aber auch neues Interessantes gesehen. Ich habe das einfach mal fotografiert, die Bilder waren so etwas wie Erinnerungspunkte für die Touren, kuriose Erlebnisse und Eindrücke von Stadtteilen.

Irgendwann bin ich auf Streetfiles gelandet. Eher spaßeshalber hab ich mal ein paar Bilder hochgeladen, um zu sehen, was dann so passiert. Damals hatte ich den Eindruck, dass das eher eine Writer-Seite ist und war mir nicht sicher, ob ich da richtig bin. Dass sich überhaupt jemand für meine Bilder interessiert, hat mich etwas gewundert. Ich habe von Anfang an versucht, schon einen persönlichen Blick auf das Piece zu zeigen.

Any mit innovativem Fill-in-Konzept.

Entweder durch die Bildkomposition oder durch die Titelwahl, die oft aus kurzen Assoziationsketten entstand. Das hat sich dann verselbständigt – es war zwar doch noch etwas knapp, das 5000. Bild vor dem Breakdown hochzuladen, aber es ist ja nochmal alles gut gegangen.

Beim Durchschauen alter Fotoabzüge habe ich übrigens festgestellt, dass ich immer mal wieder zwischendurch schon Streetart/graff fotografiert habe. Aber nicht so exzessiv wie in den letzten 4 Jahren.

2. Hast du eigentlich mal selbst gemalt?

Klar, auf Klotüren, Schreibtischen, unzähligen Seiten in Schulheftern, Anarchiezeichen. Für die Wand habe ich aber nie die richtigen Leute kennengelernt, Sprühfarbe war mir auch eher suspekt. Das ging alles eher so in Comicrichtung. Im Rückblick sind da schon ganz gute Sachen entstanden, aber eine richtige Begabung habe ich wohl nicht – zusammen mit einer eher trägen Art was Perfektion angeht macht man damit halt nicht die großen Sprünge. Ich bin dann doch besser als Passant.

3. Was interessiert dich eigentlich an Graffiti/Streetart?

Der eiwge Stadtumbau als Verlust und Chance.

Oh, das hat ziemlich viele Facetten. Mir gefällt das Kompromisslose. Ich bin da auch kein Stylefetischist, es muss nicht schön oder ästhetisch, aber irgendwie stimmig sein. Ich will auch gar nicht unbedingt wissen, was wirklich dahinter steckt. Entscheidend ist ja, wie ich das Piece wahrnehme, wie es mich anspricht. Ich finde es spannend, welche Geschichten hinter den Pieces stecken könnten. Da sieht man ein Rooftop und überlegt, was nötig war, um da hinzugelangen. Wie nervenaufreibend die Aktion war, ob alles glatt gegangen ist, oder nicht. Was geht in jemanden vor, zu sagen: Ich nehme mir ne Dose und mal da jetzt was an die Wand. Ob das nun vier blockige Buchstaben sind oder das Wort Sex, das Zauberwort der Pubertierenden, welches sich wahrscheinlich in jedem Kackdorf an der Bushaltestelle findet. Und gerade die Übergänge zum Unbewussten, der Kritzelei oder „dem Geschmiere“, das find ich beeindruckend.

Je komplexer und durchdachter ein Konzept ist, desto respektvoller betrachte ich es, je spontaner und direkter, desto sympathischer ist es mir.

Und ein ganz wesentlicher Punkt am Graff-Ding ist, dass es „Planung“ in Frage stellt. Wenn man die Bilder vom universaldilletanten und mir anschaut, wird das nochmal deutlicher: das Ungeplante, Unvorhergesehene, das eigentlich Nicht-Gewollte, das nehmen wir gerne wahr. Sei es die Kratzspuren von Münzen an

Außer Kontrolle.

Fahrkartenautomaten, die unsagbare Tristesse von mal modern gewesener Architektur oder eben das Tag an der schön geweißten Wand. Und dann all diese Bemühungen, eine scheinheilige Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten, die es hinter der Fassade von Kitsch, Gemütlichkeit und Lifestyle nicht gibt: Überwachung, Schilder, Regeln, Verbote. Wenn ein Tag oder ein Piece diese „Idylle“ stört, dann muss es auch nicht schön sein – dann ist es einfach genau richtig. Und die Erfahrung zeigt: Graffiti ist nicht in den Griff zu kriegen. Im Gegenteil, der Buff ist ja kurz davor, als eigene Kunstform anerkannt zu werden.

Ach, noch was: vor allem das Writing richtet sich nach meinem Empfinden ja stärker an die eigene Szene, während Streetart oft das allgemeinere Publikum anspricht. Mir macht es großen Spaß, die Codes und Zeichen zu dechiffrieren. Tags und Styles lesen zu lernen, ist eine im Prinzip sinnlose Beschäftigung (vor allem für Außenstehende), aber es macht mir Spaß. Ich scanne meine Umgebung ständig nach Codes und Zeichen ab.

4. Du hast in der Szene mittlerweile einen sehr guten Ruf: ging das schnell hier Vertrauen aufzubauen oder war dies doch ein langer Weg?

Pssst.

Es freut mich natürlich, wenn mein Zeitvertreib auch den Urheber_innen gefällt. Meine Ambition, Leute kennenzulernen, war nicht sonderlich groß. Writing mit allem, was kulturell so dazugehört, ist nicht wirklich meine Welt. Und die Leute, die das aktiv betreiben, gehen schon genug Risiko ein. Da muss ich mich nicht aufdrängen und Groupie sein. Es war aber sehr interessant zu erfahren, was passiert, wenn man den ein oder anderen Aktiven kennengelernt hatte. Die Vorstellungen, die man sich ja zwangsläufig so macht, haben mit der Realität eher selten was zu tun. Wenn man aber die Urheber_innen kennt, kann man die Werke auch nochmal anders betrachten.

Der Weg war letztendlich wahrscheinlich lang, da ich mangels Kontakt zu Szeneorten und Leuten lange Zeit komplett inkognito war. Das war vermutlich ein Vertrauensvorschuss, da ich mit meinen Bildern ja doch auch einiges über mich preisgegeben habe.

Auch wenn das für einige eine Enttäuschung sein wird: Der Passant interessiert sich eher für das Werk, als für das Ego der Urheber_in. Aber der Passant ist ja auch nur ein virtuelles Spiel – und für den Rest kommt es dann ja eher darauf an, wie man sich so versteht.

5. Was für eine Bedeutung hat für dich SF (gehabt)?

Inspiration, Archiv, Zeitverschwendung, Kontaktmittel, Unterhaltung, Lehrbuch.

6. Welches deiner Bilder hat bei SF die meisten Resonanzen hervorgerufen und welches Bild ist dein persönlicher Favourit?

Hmm, ich glaub von den Klicks waren das Bilder mit den keywords der großen Namen: Can2, Kent, 1UP,
Moses,… aber das lief ja auch viel über die Startseite. Der Teil, der an Streetfiles hoffnungslos überschätzt wurde. Der Famedrang im Graff ist eh das, was mir am unklarsten bleibt. Aber man konnte solche Bilder immer gut einsetzen, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Ansonsten haben die Bilder jenseits des Mainstreams natürlich polarisiert. Das war vielen zu unreal, andere teilten da deutlich meine Begeisterung. Und Politik (ich würd es lieber klare Einstellung nennen) war nicht so gern gesehen.

Unter meinen 5000 Bildern habe ich keinen Favoriten. Ich hatte so ein Set mit meiner Meinung nach gelungen Fotos – da waren aber auch sehr viele drin. Gerade bei der Graff-Doku gibt es ja zwei Komponenten – das Piece und fotografische Dokumentation. Ich habe versucht, beides zu berücksichtigen, was mal mehr oder weniger gelungen ist. Und dann spielt ja die persönliche Verknüpfung mit dem Ort, der Situation oder dem Piece eine besondere Rolle.

7. Wie reagierst du bei sexistischen, rassistischen oder homophoben etc. Kommentaren? Insbesondere bei Streetfiles kam das ja immer wieder vor…

Ich bemühe mich, übrigens nicht nur virtuell, klar und deutlich zu intervenieren. Löschen war mir aber zu einfach – man weiß ja auch nicht, ob die andere virtuelle Identität in Wirklichkeit 11 Jahre oder 35 ist. Ich habe immer versucht klar zu machen, dass jede_r das Recht hat, meine Fotos, die fotografierten Pieces oder die dahinter stehende Person Scheiße zu finden.

Diskriminierende Abwertungen will ich aber unter meinen Fotos nicht lesen. Da ich öffentlich eingefordert habe, sich ohne diskriminierende Beleidigung auszudrücken, da andernfalls mit dem Kommentar auch leider die Meinung mit gelöscht werden würde, hat das erstaunlich gut gewirkt. Ich diskutiere da auch nicht drüber. Es ist eigentlich so überflüssig, aber es ist gut, wenn man auch erklären kann, warum man bestimmte Worte nicht akzeptieren will.

8. Wie siehst du allgemein die Dokumentation von Graffiti im Netz?

Nicht so gern, wie auf der Straße. Das klicken durch endlose Bilderreihen macht müde. In der Masse geht vieles unter. Aber man entdeckt eben auch Sachen, die man nie gesehen hätte.

Tja, selber fotografiere ich eben auch. Auch wenn ich es in erster Linie für mich mache, macht es Spaß, das zu veröffentlichen. Ist aber schon alles ambivalent, wie Trends halt so sind. Es wäre schade, wenn es dazu führt, dass Leute nicht mehr das Bedürfnis haben selbst rauszugehen und Sachen zu entdecken. Es wäre gut, wenn es mehr Leute dazu animiert, die Gestaltung des Stadtraumes in Angriff zu nehmen.

9. Hat sich seit Beginn deiner Dokumentation die Frankfurter-Szene (mehr Maler, Aktivität etc.) verändert?

In erster Linie hat sich mein Fokus verändert. Deswegen ist das sehr subjektiv, auch mitunter zufällig, was ich so mitkriege. Über einen längeren Zeitrahmen bekommt man aber mit, wer einen langen Atem hat. Und die Entwicklungen einzelner Leute sind auch sehr interessant zu beobachten. Es bleibt auf jeden Fall sehr dynamisch mit vielen Konstanten – das ist doch solide.

10. Du planst u.a. selber eine Webseite aufzubauen, die Frankfurter Graff dokumentiert. Kannst Du uns darüber etwas erzählen?

Muss ich – je mehr das öffentlich ist, desto weniger können die Leute dahinter die Idee fallen lassen. Wenn ich schon so viele Bilder gemacht habe, sollen die ja auch zu was nützlich sein. Graff/Streetart gehört zwar auf die Straße, aber dank deutschem Reinheitsgebot verschwindet doch recht viel recht schnell. Es gibt ein paar Leute und die Idee, deutlich zu machen, welche Menge an kulturellem Ausdruck da verloren geht. Außerdem soll auch ein bisschen Text dabei sein, damit auch klar wird, warum das Zeug auf die Straßen gehört.

Das Gute ist, dass ich dazu viel Material liefern kann. Das Blöde ist, dass es damit nicht getan ist. Sollte wer Zeit, Fördermittelideen und technisches Wissen zur Umsetzung übrig haben, dann würde das schneller gehen. Soweit ich weiß, ist ein Konzept in Vorbereitung. Interessierte sollen sich hier beim Blog melden.

11. Lieblingsmaler weltweit und speziell in Frankfurt?

Pfff. Unmöglich zu beantworten. Die meisten Sachen sprechen mich aus ganz unterschiedlichen Gründen einfach an – weil sie Stellen sichtbar machen, die ich sonst nicht wahrgenommen hätte, weil sie in ihr Umfeld passen, weil die Buchstaben und Farben etwas ausdrücken. Manchmal geh ich auch zigmal an Sachen vorbei und plötzlich denk ich: Jetzt versteh ich, was das hier an dieser Stelle soll und fotografier es. Manchmal wird das immer Gleiche auch langweilig, manchmal wird es dadurch erst interessant.

12. Ist Graffiti für dich politisch?

Aufruf zur Demenz.

Klar. Wer unter Politik das Gekasper im Bundestag versteht, wird das wohl anders sehen. Aber die Handlung, ungefragt und unerlaubt im öffentlichen Raum Veränderungen vorzunehmen, sich dabei über Gesetze und Normen hinwegzusetzen, bewusst fremdes Eigentum zu verändern, ist für mich eindeutig eine politische. Auch wenn dies weitgehend unreflektiert geschehen sollte. Auch wenn es sich um rein egozentrische Beweggründe handeln sollte – es sagt doch viel aus, zum Verhältnis von Urheber_in zur Gesellschaft und Gesetz. Und wenn man bedenkt, welche Formen von Überwachung und Repression die Urheber*innen ausgesetzt sind, das zieht ja auch enorme überwachungspolitische Folgen nach sich, die wiederum ganz wesentlich auch andere gesellschaftliche Bereiche beeinflussen.

Dass es zusätzlich auch politische Aussagen auf der Inhaltsebene geben kann, heißt für mich nicht, dass nur das Hinterlassen eines Pseudonyms deshalb unpolitisch wäre.

13. Gab es aufgrund deiner enormen Dokumentation auch schon negative Reaktionen z.B. seitens bestimmter Maler?

Natürlich gab es auch negative Reaktionen, aber die waren eher selten und wer weiß schon so geanu, wer sich hinter den Pseudonymen verbirgt. Es gab halt deutliche Wünsche bestimmte Spots nicht erkennbar zu zeigen, Piecefotos vor einer Zine-Veröffentlichung aus dem Netz zu nehmen oder es wurde auch mal gegen andere gehetzt.

Der Ton war nicht immer unbedingt angemessen, aber wenn plausible Gründe angedeutet werden, war klar, dass ich das rausnehme. Auch wenn es bei einigen Bildern sehr schade war.

14. Viele Graffiti-Künstler sagen, dass Graffiti zu einer Sucht wird. Wie sieht es mit Graffiti-Fotografieren aus? Wird man auch zum Junkie?

Des Wahnsinns fette Beute.

Es hat höchstens meine Wahrnehmung verhunzt – ich decodiere, fokussiere Details, orientiere mich in
fremden Städten an möglichen Spots, wähle Ausflugsziele nach der Nähe zu Autobahnen und Zugstrecken. Nein, ich weiß, warum ich das mache, ich weiß auch, dass es Sinnvolleres gibt. Da meine Art des Fotografierens komplett ohne Adrenalinkick funktioniert, gibt es relativ wenig Suchtgefahr. Meine Freundin sieht das jedoch anders…

15. Any last words?

Sorry, we’re dead.

Complete me…

Die Bilder auf der SF-Startseite waren… überbewertet.

Was mich an SF immer genervt hat ist … die Selbstverständlichkeit, mit der dort über andere und über Geschmack geurteilt wurde.

Ilovegraffiti ist… irgendwie immer noch nicht richtig in meinem Fokus angekommen.

Was mich an Graffiti nervt ist… der Buff.

Offenbach ist… eine Alternative.

Lieblings SF-Members waren… viele, ich nenn mal ein paar: Almut Gewol, Profilneurose, Edith, Reimemonster, Jacqueline Herranz, Icognitoy, Timm Thaler, Elviz, Paff One, Movel…

Graff auf Frauen ist… voll schwul, ey.

Fav cities Germany: Brandenburg/Havel, Gifhorn, Worpswede.

Mein Lieblingsinterview auf der offensive… ist immer das nächste.

Quick shots!

Digital oder analog? Digital, die Dinger machen ja alles selbst.

see you in…

Old school oder anti style? Immer schön im Wechsel – Hauptsache illegal.

Likes oder bookmarks? Warum muss eigentlich immer jeder sehen, was mir gefällt?

Facebook oder google plus? Treffen und quatschen.

universaldilettant oder passant? Der Universaldilletant ist die Fortsetzung des Passants mit anderen Motiven.

Ein Bruchteil der Fotos vom Passanten bei flickr:
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