Der unendliche Raum des Seins – das Interview mit something

Wenn man durch Frankfurts Straßen geht so findet man insbesondere im Nordend und Bornheim an Stromkästen, Werbetafeln oder Schildern usw. sehr häufig das Wort “something” geschrieben. Warum steht hier “something”? Was für ein Grund mag dahinter stecken so etwas in die Stadt zu schreiben?   Schnell wird einem klar, dass es es sich hier nicht um das gewöhnliche Abtaggen seines Namens geht. Wie bei jeder Form von Kunst es ist erst einmal dem Betrachter selbst überlassen was dieser damit verbindet – was genau aber something mit dieser (Kunst)-Aktion sagen will und welche Interpretationsspielräume möglich sind, darüber haben wir uns mit dem Künstler selbst unterhalten…  


Here we go…


Dko: Hallo something, schön dass du dir etwas Zeit für das Interview genommen hast – die erste Frage: wie bist du auf die Idee gekommen something als Wort in der Stadt zu verbreiten?

something:
 Die Idee ist im Gespräch mit einem Freund entstanden und hat sich dann irgendwann verselbständigt.

Dko: Würdest du deine Kunst selbst auch als Streetart bezeichnen?

something: Ich weiß gar nicht, ob ich es überhaupt als Kunst bezeichnen würde…



dko: Man könnte ja alles, was (auf der Straße an Intervention) draußen passiert, schon als Kunst bezeichnen. Man muss das ja nicht immer nur auf das Visuelle beschränken. Wenn ich beispielsweise ein Kunstprojekt starte, das lautet: ich möchte, dass alle Personen in dieser Stadt meinen erfundenen Namen „Tom“ kennen und dazu gehe ich raus und male 5000mal das Wort „Tom“ an Wände…



something: So wie die Earthlings… (lacht)



dko: Ja genau! Das könnte man ja als Kunstperformance begreifen… 




something: Also, ich habe das in erster Linie für mich gemacht. Ich weiß gar nicht genau wie Street Art definiert wird. Was für mich ist jedenfalls wichtig, dass man das Stadtbild interessanter macht und dem etwas hinzufügt, es also aufwertet – in ästhetischer oder inhaltlicher Hinsicht. Wogegen ich eine reine Omnipräsenz manchmal nervig finde, die ja oft auch ästhetisch brachial sein kann – ob mit Dose, Kreide oder Aufklebern.
Wobei da mein Verständnis aufhört. Jeder kann 500 Sticker im Internet bestellen und alles damit zupflastern. Das ist wie Werbung. Das unterscheidet sich dann nicht von einer Firma, die einfach „in your face-mäßig“ alles zuballert. Für mich transportiert Handgemachtes wesentlich mehr.

dko: OK, dann anders gefragt: Würdest du das Something-Projekt nach deiner Definition als Teil der Street Art sehen?
something: Ich kann die Frage nicht beantworten, auch weil es eigentlich keine Rolle spielt. „something“ muss keinen Ansprüchen genügen und niemandem gefallen, es ist einfach.

dko: Du verwendest, wenn du deine something-Wörter aufschreibst immer Marker: sonst arbeitest du mit keinen anderen Werkzeugen  – Sprühdose ist für dich keine Option?



something: Die beherrsche ich nicht – das können andere besser. Aber auch aus praktischen Gründen – einen Marker kann man immer in der Hosentasche haben. Dennoch bin ich natürlich offen und experimentiere hin und wieder.

dko: Was ist denn die Idee von something…? Wenn man gerade den Bezug zur Streetart und Graffiti nimmt, bedeutet das ja einerseits auch eine Verneinung des Namens. Weil something ja (nur) den Gegenstand benennt. Wenn man z.B. dieses Wort auf den einen Stromkasten schreibt dann lässt sich ja sagen: „Der Stromkasten ist etwas“. In der Schlussfolgerung bedeutet das also, dass du dich damit von deinem Namen trennst. Sonst würde man ja sagen “Hast du etwas gesehen?“, d.h. man stellt ja nicht mehr den Bezug zum Künstler her..

something: In der Tat geht es da nicht um dieses Fame-Ding. Das Konzept soll von einer spezifischen Person völlig losgelöst sein, auch von Leistung. Es ist mehr so etwas wie „work in progress“ und ist es schön, wenn drumherum Dinge passieren und Reaktionen kommen, aber wenn keine kommen ist es auch ok. Dann arbeitet das auf einem Sublevel weiter. Mal ist man aktiver, mal weniger, es geht um den Prozess. Der beginnt schon, wenn Aufmerksamkeit auf Dinge gelenkt wird. Der Blick bleibt an etwas hängen wie das eben ist mit Schriftzügen, die irgendwo zu lesen sind, oder Schilder oder eben Aufkleber, Street Art, Graffiti – die laden dazu ein, die Dinge anders oder genauer zu betrachten…und das finde ich gut.



dko: Und was ist anders zu betrachten? Könnte man eventuell sagen, dass die Stadt tot ist? – Es gibt Dinge in ihr, die man nicht wahrnimmt? Und durch die Something-Aktion dazu aufgefordert wird, das, was einen umgibt, stärker wahrzunehmen?

something: Genau. Dinge, die scheinbar bedeutungslos sind, werden eben aufgeladen wenn „etwas“ auf ihnen drauf steht. Man schaut sie an und nimmt sie anders wahr.



dko: Hast du den Eindruck, dass das auch erreicht wird?

something: Ja, ich hab schon vereinzelt Reaktionen mitbekommen. Man schickt etwas in die Welt, die Reaktion kommt vielleicht nie, manchmal kommt sie und dann freut man sich. Aber das ist etwas, das sich verselbständigt, man hat es dann nicht mehr in der Hand. Es gibt die einen Leute, die an allem vorbeilaufen und nichts bemerken und die anderen die jedes kleine Detail, jede Veränderung wahrnehmen und darüber nachdenken. Und den Details eventuell eine persönliche Bedeutung beimessen.
dko: Woher weißt du, dass manche Menschen so darüber denken, dies fühlen? Erhältst du über deinen tumblr-Blog Emails, in denen sich die Leute mitteilen?


something: Also, Mails habe ich bisher wenige erhalten, aber im tumblr-Blog kann man eigene Bilder hochladen und dann sehe ich, wo die Leute überall „something“ entdecken und fotografieren. Oftmals an Orten, die ich selbst gar nicht mehr aufm Schirm habe. Es ist auch schon vorgekommen dass neue somethings geschrieben wurden, was dem Ganzen eine eigene Dynamik gibt.

dko: Bei deinem Tumblr-Blog wünscht du dir ja schon eine Interaktion mit anderen Leuten?

something: Wünschen ist übertrieben, aber die Möglichkeit ist gegeben.



dko: Wie stark ist denn die Resonanz?



something: Verhalten. (lacht).


dko: Versuchst du über das Blog die Reaktionen sichtbar zu machen? Oder eine Bestätigung zu finden, dass die Leute „etwas“ wahrgenommen haben? Oder soll der Blog die Leute animieren, draußen zu suchen?
something: Ich habe beim Einrichten des tumblrs einfach ein Häkchen gemacht, wo die Option zur Beteiligung gegeben wird und war gespannt was passiert. Ich suche weder Reaktionen oder Bestätigung – also Brieffreunde oder Schulterklopfer – freue mich aber, wenn Fotos auftauchen, weil ich – wie gesagt – selbst oft nicht mehr genau weiß, wo ich unterwegs war und es mit der eigenen fotografischen Dokumentation nicht so genau nehme.

dko: Something bezieht sich ja nicht nur auf Orte sondern eigentlich auf alles, so können User Videos von Liedern in deinem Blog einreichen, bei denen dieses Wort vorkommt…



something:…“Etwas“ – das Dingliche ist ja ein Aspekt, der andere ist das Universelle für das eben dieses something steht, so wie es auch in vielen geflügelten Worten oder Liedtexten vorkommt: wofür es auch im jeweiligen Kontext steht – es macht einen riesigen Raum auf. Und dieser unendliche Raum des Seins ist in dem Moment auf den Elektrokasten gebannt, wenn something drauf steht, zumindest für mich.

dko:
Heißt das dann, dass die Auswahl der Orte an denen du das hinklebst und hinschreibst, nach gewissen Kriterien geschieht oder ist das egal?



something: Es gibt da für mich bei der Auswahl zwei wesentliche Kriterien: Dinge, die nicht explizit einer Privatperson gehören wie z.B. ein Stromkasten…

dko:… das machst du dann aber aus dem Grund einer geringeren Gefahr von Strafverfolgung?

something: Ich mache es eher aus Respekt vor privatem Eigentum. Ich persönlich finde es übergriffig, wenn man direkt auf private Häuserwände malt. Stromkästen oder Kaugummiautomaten beispielsweise sind gewissermaßen Orte der Kommunikation, da passieren ja ganz viele Dinge und Überlagerungen von Botschaften, Aufklebern etc, die zudem häufig recht lange überdauern. Das ist ein Kriterium. Das zweite sind Gegenden oder Straßen, die besondere Orte für mich darstellen, die in irgendeiner Weise besonders aufgeladen sind. Zum Beispiel, die Straßenecke xy, da ist etwas/something irgendwann mal passiert woran ich jedes Mal denke, wenn ich daran vorbeilaufe. Jemand anderes hat bestimmt eine ganz andere Konnotationen mit dem Ort.


dko: Dialoge können ja auch an anderen Orten entstehen  –  es muss ja nicht immer der Kaugummiautomat sein. So gibt es zum Beispiel private Hauswände, die halt nie sauber gemacht geworden sind: von daher kann auch ein privater Ort ein Ort der Kommunikation sein – d.h. würde an eine solche Hauswand ein something drankommen?



something: Wahrscheinlich nicht. Ich finde genug Orte, wo es hinpasst. Es geht auch nicht darum, an einem Dialog teilzuhaben. Wenn an einem Zigarettenautomaten beispielsweise eine Marlboro-Landschaft abgebildet ist, dann passt ein fettes something einfach gut drauf. Oder wenn die Litfaßsäulen komplett alle frisch geweißt wurden – das einfach mal komplett zu nutzen, auch wenn es nur für ein paar Tage ist, da kann ich nicht dran vorbeigehen. Das steht zur Verfügung, steht quasi vor der Nase. Allgemein ist es aber jetzt nicht so, dass ich mir viele Gedanken drüber mache. Intuitiv wähle ich offensichtlich eher Orte aus, die nicht privat sind. Einem Klingelschild zum Beispiel habe ich nichts hinzufügen, das ist für mich auch kein Ort, wo meine Botschaft hinpasst.

Ein Brückengeländer, das beladen mit etwas ist – da muss es dagegen stehen. Meinetwegen sogar dreimal. Allein als Erinnerung für einen selber. Und andere sehen es auch, wenn sie nicht nur die gute Aussicht genießen.



dko: Also verstärkt auf Brücken gucken?



something: Ja, immer gerne (lacht).


dko: Das heißt das ist dann nicht mehr nur auf das Objekt begrenzt sondern der Ort/Raum bekommt eine neue Perspektive/Inhalt?


something: Genau, so wie bei uns hier und jetzt: Am 4. Juli 2014 auf dieser Bank auf der wir gerade sitzen, in dieser Straße… und eben auch bei Dingen und Orten, mit denen man Dinge verknüpft, die von größerer persönlicher Tragweite sind.



dko: Und dieses Konzept war dir schon von Anfang an bewusst oder war das ein Prozess?


something: Es ging mir zuerst darum die Aufladung von Dingen und Orten durch diese Markierungen sichtbar zu machen, so wie man auf einer Weltkarte an Orte kleine Nadeln sticht an denen man schon gewesen ist, so eine Art persönliche Karte. Wo man Dinge erlebt hat, wo man unterwegs gewesen ist. Im Prozess ist mir klar geworden, dass something auch für ein Bewusst-Sein steht, einen Ist-Zustand, der nicht sichtbar oder erklärbar ist.



dko: Deine Streetart hat auch einen gewissen Adbustingcharakter?



something: Ja, möglicherweise. Ich füge ja den Dingen etwas hinzu. Oder benutze das Bild einfach anders. Ich zweckentfremde sozusagen.



dko: Inwiefern kann man dort dann eine Kritik erkennen?



something: Die kann man dann selbst reinlesen, wie man möchte.



dko: Wenn das Wort „something“ beispielsweise auf einer Waschmittelwerbung steht, dieses Produkt auf „etwas“ reduziert wird  – also im Sinne von „hier wird nicht Marke xy beworben sondern nur etwas“ –  dann verliert das beworbene Produkt an Relevanz . Weil man ja irgendein Produkt bzw. Waschmittel kaufen könnte.



something: So könnte man es zum Beispiel sehen. Dass solche Interpretationen entstehen, das finde ich gut. Es ist immer nur etwas, ein Ding – die Aufladung dagegen ist etwas anderes, das Gegenteil zum Dinglichen.



dko: Es gibt also zwei Facetten: die Reduzierung auf das Dingliche oder wie beim Lied „Something in the way“, was eine Aufladung darstellt, etwas als etwas Besonderes, etwas Relevantes.



something: Oder wie bei George Harrisons „Something“ – es steht für vieles, doch was dahinter steckt ist in erster Linie ein Gefühl!

dko: Ok, letzte Frage wie nimmst du die Frankfurter Streetart-Szene wahr und wie erlebst du die Stadt im Umgang mit Street Art/Graffiti?




something: Nichts ist schlimmer als ein total aufgeräumtes Stadtbild mit ausgewiesenen Graffitizonen. Mehr Farbe überall! Ich freue mich immer neue Sachen zu sehen, ob ein riesiges Piece an prominenter Stelle von den üblichen Verdächtigen oder ungelenke neue tags in einer kleinen Seitenstraße. Hauptsache es steckt zumindest das Fragment einer Idee, ein kreativer Gedanke oder gutes Handwerk dahinter – im Ideallfall trifft alles drei zu und das ist zum Glück keine Seltenheit. Meine letzten Favoriten: Oberfinanzdirektion, Paste-ups von PYC und riesige fireflowers am Main.

Wir bedanken uns für das Interview.

Complete me!  

Die Bahnhofsviertelnacht ist … die entspanntere Silvesterparty
Der schönste Stadtteil in FFM ist… Bornheim mon amour!
Streetart Brazil war… in kürzester Zeit bis auf wenige Spuren (z.B. an der Hauptwache) wieder komplett eliminiert

Der EZB-Neubau ist… ein neues Glashaus am Main
Das besondere an Frankfurt ist… Schlipsträger vs Multikulti  

Quick Shots!


Urban Art oder Streetart? schliessen sich nicht aus
Sticker oder Marker? Marker
Jutebeutel oder Turnbeutel? Baumwolltasche, öko und fair trade yo!

Eine Antwort

  1. skFFM sagt:

    Ich fragte mich anfangs, ähnlich wie bei den "Kunst"-Tags, ob das "Something" eventuell als Persiflage auf (namentliche) Tags zu verstehen sein soll. Jetzt bin ich schlauer. Danke für's Interview.

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