Erfurt: Graffiti schafft Angsträume

An dieser Stelle möchte ich ein paar Sätze zu der Anfrage der CDU an den Erfurter Stadtrat, die im September beantwortet/diskutiert werden soll, einbringen. Die CDU beschreibt ihr Anliegen auf ihrer Homepage folgendermassen:

In Erfurt verunstalten Vandalismus, illegal, auf fremdes Eigentum gesprühte Graffiti und sonstige Farbschmierereien das Bild der Stadt. Dies beklagen zunehmend die Bürger, bestätigt durch die polizeiliche Kriminalstatistik. Eine Zunahme ist in den letzten Jahren in der Tat zu verzeichnen. Diese Situation verunsichert die Bürger und schreckt außerdem Touristen ab. Nicht zu vergessen sind die Kosten, die mit der Beseitigung verbunden sind.

Deshalb stellt die CDU-Fraktion, initiiert durch die Stadträtin Marion Walsmann, dem Oberbürgermeister eine Große Anfrage, die Klärung in die Problematik bringen soll. Die CDU-Fraktion stellt sich damit nicht generell gegen Graffiti-Kunst, sondern kritisiert jede Form von Schmiererein und von Vandalismus, die fremdes Eigentum betreffen und damit illegal sind. Die Anfrage umfasst insgesamt 15 Einzelfragen.


Die Fragen zielen u.a. auf die Häufigkeit der Fälle in den letzten Jahren ab, bei denen sowohl städtisches, als auch privates Eigentum betroffen ist. Dabei spielt auch die Höhe der Sachschäden eine Rolle. Von Interesse sind außerdem die Aufklärungsquote, die Gründe, warum in verschiedenen Fällen nicht abschließend ermittelt werden konnte, und ob letztlich strafrechtlich vorgegangen wird. Ebenso wird hinterfragt, welche Möglichkeiten seitens der Stadt, z.B. der AG Graffiti, zur Aufklärung und zur Besserung der Situation bestehen.

Gegenüber Radio Frei äußerte sich Marion Walsmann folgendermassen „Das sieht alles andere als schön aus, hier fühlt man sich abgestoßen. Und da muss man einfach zur Kenntnis nehmen, dass geschmiert wird, verunstaltet wird, zerstört wird, mutwillig zerstört wird! Und dadurch entstehen auch Angsträume! In Straßen oder Gassen, die so verunziert sind, da fühlt man sich nicht wohl. Da geht man nicht gerne lang, da weiß man nicht was auf einen zukommt!

Frau Walsmann entwirft hier ein recht einseitiges Bild von Graffiti und ich möchte an dieser Stelle eine andere Perspektive aufzeigen.
Zuerst muss festgestellt werden, dass Erfurt eine sehr saubere Stadt ist. Ein Blick in andere Städte zum Beispiel wie Leipzig oder Halle verdeutlicht dies: hier ist Graffiti viel präsenter. Auch ist Erfurt meiner Meinung so sauber wie nie – in den Jahren um 2006 war in der Stadt viel mehr los, was wohl auch daran lag, dass unsanierte Altbauhäuser und Leerstände noch deutlich mehr vorhanden waren. Dieses Stadtbild hat sich radikal geändert: Jeder Leerstand wird peu a peu saniert und für die Bürger hübsch und anschaulich zurechtgemacht. (Gefühlte) Freiräume, also Häuser und Viertel, die keine Funktion (im Sinne der kapitalistischen Verwertung) gibt es kaum noch. Stadträume, die nicht nach der systemrationalen Logik funktionieren verschwinden mehr und mehr. Die Stadt wird also in der Konsequenz immer mehr spezialisiert und abgetrennt: Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Freizeitgestaltung sind Kriterien für die Aufteilung der Stadt. Graffiti sind einfach nur Farbschmierereien? Im Kontext dieser Durchrationalisierung stellt diese räumliche (symbolische) Aneignung, also Graffiti, ein Gegenentwurf zu den gesellschaftlichen Verhältnissen dar. Nebenbei findet dieses Aneignungskonzept im Bereich der Entwicklungspsychologie bei Kindern und Jugendlichen große Bedeutung: Kinder und Jugendliche benötigen für ein gelingendes Aufwachsen die Auseinandersetzung mit dem (physisch-materiellen und sozialen) Raum, der sie umgibt, sind also auf funktional nicht vorbestimmte Möglichkeitsräume angewiesen (Vgl. Reutlinger, Christian, 2005, S. 400 ff.) Zumal ich dieses Konzept gar nicht mal nur auf Kinder und Jugendliche beschränken würde.

Zu den Angsträumen sei gesagt, dass man auch hier genau die andere Perspektive einnehmen kann. Graffiti bedeutet Vielfalt, Kreativität und Lebendigkeit. Ich sehe Tags und weiß, da war wieder der Maler xy, an diesem Ort war also ein Mensch und hat ein Zeichen hinterlassen. Hier ein Sticker, dort ein schönes Piece: es gibt viel zu entdecken:  Überraschendes, Unerwartetes. Menschen zeigen ihre Kunst in der Stadt, (vielleicht etwas kitschig gesprochen) wie in einem großen Atelier. Und sind es nicht genau diese Viertel, die derzeit so attraktiv werden – Stichwort Gentrifizierung? Gerade diese Vielfalt und Nicht-Konformität solcher Stadtteile sind doch für viele so anziehend. Und hier könnte man ja sogar wirtschaftlich argumentieren: Gerade Berlin als Streetart-Hauptstadt Nummer 1 zieht viele Interessierte/Touristen an. Auf der Homepage www.berlin.de gibt es bei der Suche nach “Streetart” 93 Treffer. Vielleicht eine kleine Radtour durch die City? “Kunst spielt sich in Berlin nicht nur in Museen und Galerien ab – sondern an Hauswänden, auf Freiflächen und in kleinen und großen Nischen, die die Metropole im Umbruch so bietet. Mit dem Rad entdecken wir den Open-Air-Bereich der Kunstmetropole Berlin“.
Bitte bringen sie die Buchungsbestätigung mit.

4 Antworten

  1. Anonym sagt:

    ein richtiger und wichtiger Kommentar. Nur ein kleiner Kritikpunkt von meiner Seite. Oben schreibst du von gefühlten Freiräumen die sich einer kapitalistischen Verwertungslogik entziehen und dann führst du unten aber wieder die kapitalistische Verwertung dieser Freiräume durch Touristen ein. Ich sach: Scheiß auf die touristische Verwertung, lass solche Argumentationen den Politik- und Jugendarbeitsatzen. Hier, in diesem Blog, solltest du schreiben: Graffiti nimmt sich den Freiraum zurück, den die Gentrifizierung den Menschen ohne Geld nahm. Jeder kann sich ne Dose schnappen und einen Namen malen, aber nur die wenigsten können sich ein Haus schnappen und es schick sanieren. Zeig den Ordnungs- und Sicherheitsfanatikern, wie Politik auf der Straße geht. Graffiti bleibt dreckig. Graffiti bleibt illegal. Graffiti ist Untergrund. Das ist kein Machoszenesprech. Das ist die Realität. Diese Subkultur wurde nicht totkommerzialisiert. Klar gibt es ein paar Leute die damit Asche verdienen und auch über Wallcome, OQ-Paint oder A.Y.C.P. kann man diskutieren. Aber es wird (hoffentlich) immer Leute geben die rausgehen und einfach malen.

    ups jetzt ist es doch fast ein eigener kleiner Kommentar geworden.

    Leider steht der Text auf der Seite eines Graffiti-Blogs und nicht im Wahlkampfschmierblatt der CDU. Det wär mal ein feiner Hack.Na egal.

    keep up the good work and the streets dirty

  2. dko sagt:

    ja, klar, mit dem Touri-Argument wollte ich nicht anbiedernd sein. Jedoch, und da kann Graffiti noch so anti sein: ich glaube der Kapitalismus schafft es wirklich alles zu vermarkten. Ob das Graffiti (bzw. dessen Akteure) will oder nicht.

  3. Anonym sagt:

    Da bin ich wirklich anderer Meinung. Ein guter und langjähriger Freund ist schon seit vielen Jahren aktiv. Seine Bilder sind auf vielen Billig-Sachen die "irgendwas mit HipHop" zu tun haben zu sehen. Wir haben seine Pieces schon als Etiketten an Billig-Jeans in den Niederlanden, als Wallpapers auf Großbildleinwänden und auf Ströer-Tafeln gesehen. Für nicht eine Verwendung hat er Kohle gesehen und trotzdem geht er noch regelmäßig raus und malt illegal. Er wird wahrscheinlich nie viel Geld besitzen, aber das scheint ihm auch nicht wichtig zu sein. Und ich kenn da noch zwei, drei die ähnlich denken. Die machen das zum Teil schon über ein Jahrzehnt (als sich Sprayer noch gegenseitig Fotos schickten und die Backspin noch wichtig war) und die wird der Kapitalismus nicht bekommen. Vielleicht irgendwann die Bullen, aber keine Vermarktungsmaschine der Welt. Echt, da glaub ich dran!

  4. dko sagt:

    das tust du missverstehen. Dein Freund mag zwar nicht daran verdienen, jemand anderes aber sehr wohl. Etwas also, was ursprünglich nicht funktional war, sich der Verwertung entzog bzw sogar (im Sinne der Eigentumsverletzung) sich dagegenstellte kann nun doch verwertet werden, es kann nun damit doch Geld verdient werden. Es wird zum Teil des Systems.

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