Von Alpha-Tieren, dem Zimmermann und einem Museum auf der Straße – das Interview mit ‘Alpha Joe’

“Office Hawk”,
EZB, 2012

Es gibt selten ein großes Mal-Event in der Stadt und Umgebung ohne
seine Beteiligung. Sei es bei Living Walls, an der EZB, unter der
Friedensbrücke, am Ratswegkreisel, beim Charakter-Jam in Bonames. Er arbeitet auch auf Leinwand – sowohl mit der Sprühdose als auch mit Öl- und Acrylfarben, wobei sein Graffiti-Stil fast immer erhalten bleibt. Die Markenzeichen von Guido Zimmermann (aka ‘Alpha Joe’) sind satirische Darstellungen mit vermenschlichten Tieren, der sogenannte Anthropomorphismus – und nicht selten Adaptionen großer Werke – die immer mit einem Rahmen versehen sind. Seine Arbeiten schmücken öffentliche Einrichtungen in Bad Vilbel und
“hängen” an der Wand im Bahnhof Maintal-Dörnigheim, um nur zwei Beispiele zu nennen. Und auch weit über
die Grenzen Frankfurts hinaus hat er große Murals gemalt, z.B. mehrmals
in
London, bei internationalen Events wie die iBUG, in Wittenberg, Kempten und Düsseldorf mittlerweile eine gefühlt endlose Liste. Eins möchte er aber noch erreichen: er will mehr großflächige Murals in seiner Heimatstadt Frankfurt malen, weil alle dann direkten Zugang zu den Bildern haben, die wie im Museum für alle zugänglich sind. Dazu hat er nun ein Crowdfunding-Projekt gestartet: Museum on the Street. Wir sind begeistert von der Idee und wollten mehr wissen …

“Vorsicht Buch”, Auftragsarbeit anlässlich
der Buchmesse, Frankfurt, 2013

Stelle dein Projekt ‘Museum on the Street’ doch
einfach kurz selbst vor, mit allem, was dazu wichtig ist.


Ich habe das Projekt ins Leben
gerufen, weil ich gemerkt habe, dass es hier in Frankfurt ein Defizit an
Wandmalerei gibt. Mittlerweile bin ich ein bisschen herumgekommen und habe in
verschiedenen Städten gemalt; gleichzeitig verfolge ich auch das Geschehen im Internet,
also was weltweit so passiert. Und dieser Vergleich zeigte mir, dass in
Frankfurt doch ganz schön wenig los ist!


Schließlich bin ich dann zum
Frankfurter Kulturamt gegangen und habe
mit denen gesprochen, ob sie mich unterstützen können. Das können sie. Aber nur bürokratisch, weil sie leider zu wenig
Mittel haben. Sie stehen aber hinter mir und finden
das richtig gut. Irgendwann habe ich einen Aufruf von diesem Crowdfunding-Projekt
gesehen und habe mir gedacht “ach, ich probiere es mal aus”. Ich habe kurz und knapp meine Idee geschrieben
und dann ‘zack’ wurde ich von über 60 Bewerbern ausgewählt, und es wurde auf
einmal ernst.

Maintal-Dörnigheim Bahnhof

Und so kam es zu dem Projekt. Weil ich hier in Frankfurt
unabhängig Wände malen möchte, Leute einladen möchte, mit denen ich etwas
zusammen machen möchte. Mir ist es einfach wichtig, dieses Kulturgut hier in
der Stadt zu etablieren, dass also jeder die Möglichkeit hat, sich schöne, ausgearbeitete Wandbilder
anschauen zu können – dass also das Museum nicht nur drinnen sondern auch draußen
stattfindet und für allen zugänglich ist. Das ist mir wichtig.

Du schreibst auf Facebook zu dem
Crowdfunding: “Dabei zählt die symbolische Beteiligung mehr als ein hohen Betrag zu spenden!”

Am Ende der ersten Crowdfunding-Phase gibt es eine Ranking. Diese basiert auf der Anzahl der sogenannten Supporter and dient dazu, die Mittel aus dem Fördertopf zu verteilen. Dieser Fördertopf (immerhin 200.000 Euro) wird nach unten im Ranking an alle verteilt – so wird der fehlende Rest eines Projektes aufgefüllt. Desto höher ein Projekt steht in diesem Ranking, um so mehr Geld wird von den Förderern zu Verfügung gestellt. Die letzten im Ranking bekommen also eher nichts ab und sind quasi ‘raus’.

“Tree of Society”,
Hanauer Landstraße,
Frankfurt, 2014
Arbeiten an
“Tree of Society”

Du kommst selbst aus dem
illegalen Graffiti, hat sich deine Haltung gegenüber den legalen Möglichkeiten
verändert? Wie ist deine Haltung zu illegalen Graffiti/Street
Art?


Meine Haltung hat sich überhaupt
nicht geändert. Ich bin immer noch Fan vom illegalen Graffiti. Ich gucke es mir
gerne an – natürlich lieber etwas Schönes als etwas Hässliches – oder besser
gesagt, ein durchdachtes Graffiti finde ich gut. Wenn ich mit dem Fahrrad unterwegs bin, orientiere ich mich immer noch
wie früher an Tags, an neuen Bildern; darauf achte ich eher als auf Straßennamen.
Das illegale Graffiti hat mir damals in meiner Jugend so viel gegeben. Alles
andere war scheiße in meiner Teenie-Zeit, damals war Graffiti mein einziges
Lebenselixier. Die Familie war scheiße, die Schule war scheiße – und das
Graffiti-Ding konntest du mit deinen Freunden machen. Es hat
zusammengeschweißt. Man hat so viele Erfahrungen gesammelt. Ohne das illegale
Graffiti wäre ich jetzt niemals da, wo ich bin. Auch so von den Fingerfertigkeiten
und anderen technischen Sachen. Deswegen finde ich nach wie vor (illegales) Graffiti
wichtig und gut.

Ratswegkreisel, 2014

Wie beurteilst du den Ratswegkreisel? Sowohl als
Gesamtprojekt, sowie auch den dort zu sehenden Output? Ist seitdem weniger los
auf den Straßen? Wie ist deine Meinung zur Friedensbrücke?


Ob weniger auf den Straßen los
ist, weiß ich nicht genau. Das kann ich nicht beurteilen. Die Idee irgendwo
eine große Fläche für alle zu schaffen, gab es schon länger. Ursprünglich wurde
die Idee von Mario (‘Kent’) und mir angestoßen, aber wir hatten uns gleich zu
Beginn überlegt, Stefan Mohr mit ins Boot zu holen – schließlich wurde dann der Verein “Freiluftgalerie Frankfurt” gegründet. Diese Vereinsgründung war auch
nicht einfach und es hat ein bisschen gedauert. Aber nun hat es geklappt und
die Wand ist legal. Ich finde es wichtig, weil man einfach Platz braucht, wo
man sich austoben und Dinge versuchen kann. Es hat gar nichts mit Fördern oder
Nicht-Fördern von illegalem Graffiti zu tun. Es ist einfach eine super Beschäftigung
für Kids und die sollten das machen können. Ein gutes Beispiel dafür ist ein
alter Graffitikollege von mir, mit dem ich früher lange unterwegs war. Er macht
mit seinem Sohn oft zu Hause Skizzensessions und beide gehen dann an die Wand
und sprühen zusammen. Das ist doch wunderbar. Es gibt nichts Schöneres als so
etwas mit seinem Kind zusammen zu machen. Die Friedensbrücke finde ich auch
super, weil man dort aufwändigere Ideen und Konzepte verwirklichen kann. Dafür
ist es perfekt. Man braucht mehr von solchen Wänden.

Meeting of Styles, Magdeburg, 2014

Wie stehst du sonst zu legalen Projekten, bspw. an
Trafohäuschen, oder an Stromkästen?


Klar, jedes Bild, das ich sehe,
finde ich erstmal gut. Ein Graffiti-Bild ist immer besser als eine leere Wand. Na
ja, das stimmt nicht ganz. Solange die Qualität stimmt und man sieht, dass da
etwas Kreatives drinsteckt, ist es auf jeden Fall – obwohl, nee, nee. Es gibt
auch viele hässliche Sachen, wo man sich lieber eine graue Wand wünscht als das
Gemalte, wenn ich genauer darüber nachdenke. Also sagen wir es so: Ein Graffiti-Bild ist fast immer besser als eine leere Wand. Klar habe ich auch einige Trafohäuschen
und Stromkästen gemalt. Das ist aber etwas eingeschränkt und es macht nicht so
viel Spaß. Aber wenn man dort seine Ideen umsetzen kann, finde ich es gut. So
werde ich bspw. demnächst in Sachsenhausen auf einen Stromkasten ein sehr aufwendiges
Tierportrait malen.

“Knabenchor”, Bad Vilbel

Wie gehst du mit dem Konflikt um, möglicherweise
von Personen und Unternehmen beauftragt zu werden, die für eine Art der
Stadtentwicklung stehen (Gentrifizierung,
Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes), die Auswirkungen auf den
Sozialraum Stadt aber z.B. auch auf den Umgang mit illegalem Graffiti haben (Überwachung, Privatisierung,
Verdrängung)?


Ich kann mir gerade keine
Unternehmen vorstellen, die so etwas machen bzw. die dafür stehen. Insofern bin
ich überfragt. Generell kann ich sagen, dass man schon auf seine Auftraggeber genauer
guckt und wenn es einer ist der politisch oder sonstwie nicht korrekt ist,
dann überlegt sich man zweimal, ob man diesem mit seiner Malerei unterstützt
oder ob man sagt “Nee, das ist mir zu blöd für euch zu arbeiten, für euch zu
malen.” Wenn etwas zu negativ wird, dann muss man konsequent sein und “Nein”
sagen.

Ratswegkreisel, 2014

Du selbst bist beruflich Illustrator, auch deine
Murals sind Illustrationen: Spielen Stylewriting und Buchstaben für dich noch
eine Rolle oder haben sie möglicherweise nie eine starke Rolle gespielt?


Also ich komme aus dem normalen,
klassischen Graffiti, das heißt ich habe schon immer mit Buchstaben zu tun
gehabt. Ich habe aber natürlich auch immer parallel figurativ gearbeitet. Dort
hat man größere Ausdrucksmöglichkeiten, deshalb ist dies mehr zu meinem
Schwerpunkt geworden. Aber auch mit Buchstaben kann man sehr gut experimentieren
und Spaß haben – deswegen spielt Stylewriting immer noch eine Rolle für mich. Ich
gehe auch noch gerne mit Freunden raus – z.B. an den Ratswegkreisel – und wir machen eine richtig
schöne Style-Session. Das macht richtig Spaß. Wobei ich sehr experimentell
werde und jedes Mal etwas anderes ausprobiere.

Zu dieser Frage muss ich schließlich
noch sagen, dass ich zwar immer noch Illustrator vom Beruf bin, dies hat sich aber
aktuell gewandelt. Ich mache immer noch Illustrationen, aber mittlerweile
liegt mein Schwerpunkt mehr in der Kunst. Ich sehe mich eher als freier Künstler oder eben Maler.

Missing Art – Living Walls,
Friedensbrücke, Frankfurt, 2013

Ist Graffiti für dich Kunst? Wie stehst du zu Anti-Style?

Es kommt ganz auf das Graffiti
an, würde ich sagen. Wenn du einfach den Mode-Effekt bzw. das Graffiti selbst
als Mode siehst und höchstens zwei Jahre lang malst, wirst du kaum deinen
eigenen Style entwickelt haben. Denn dann sind die Graffitis nicht besonders
kunstvoll geworden und demnach für mich nicht wirkliche Kunst. Aber sobald man etwas
Eigenes entwickelt und etwas Kreatives macht oder was Neues schafft, dann ist es
auf jeden Fall für mich Kunst. Vielleicht kann man sagen, dass dieser Trend zum
Antistyle ein gutes Beispiel dafür ist, weil man dort sehr oft sehr wirre Sachen
sieht, teilweise auch interessant von der Struktur, aber ich finde viele Kids
und junge Maler machen es sich sehr einfach, weil es ein Trend ist. Sie machen einfach Antistyle und finden
es cool, aber ich glaube man muss schon erst durch die Schule des klassischen
Graffitis gegangen sein, um sich dann davon wieder lösen und den Antistyle malen zu können. Dann
finde ich, dass der Antistyle seine Berechtigung hat. Sonst nicht. Natürlich
gibt es immer wieder Ausnahmen, Leute die so direkt loslegen, aber ich
persönlich finde den Antistyle grundsätzlich uninteressant. Und wahrer
Antistyle ist meiner Meinung nach schon ganz alt – als ich 1993 angefangen
hatte zu malen und mir auch internationale Mags anschaute, waren vor allem die
Holländer sehr gut im Antistyle malen; aber irgendwie auf eine andere Art und
Weise als es heute ist. Ich fand es damals spannender.

Bonames, 2014

Zu deinen Werken: Du verbindest oft Tiere mit
Personen oder menschlichen Eigenschaften. Wie näherst du dich dem an: sind es
die Tiere, die dich an Menschen erinnern, oder umgekehrt, siehst du menschliche
Eigenschaften und Tätigkeiten eher noch als Eigenschaft, die es auch bei Tieren
schon lange gibt?

Ich habe da ganz viele Herangehensweisen – wenn ich Wandbilder male, nehme ich
oft Bezug auf den Ort oder auf die Geschichte des Ortes. Es kann grundsätzlich
alles mögliche sein. Dann fange ich immer an zu recherchieren und es ergibt
sich ganz schnell, dass bspw. an einem Ort eine bekannte Persönlichkeit
schon einmal gewesen ist oder dass in der Industriebrache irgendetwas spezielles
produziert wurde. Und dann nehme ich das
gerne auf. Ich gucke, was dazu passt. Manchmal ist es auch einfach nur etwas Ästhetisches,
ich schaue was für ein Tier von der Ästhetik funktioniert; oft werden dem Tier spezielle
Eigenschaften nachgesagt, so dass man den Charakter eines Menschen durch das Abbild
eines Tieres seine sehr gut darstellen kann. Das finde ich sehr spannend. Sei
es Napoleon als Silberrücken, ein Gorilla, den ich genommen habe, weil es
einfach ein Alphatier ist. Napoleon war sehr klein und hatte eine Art Minderwertigkeitskomplex
und wollte unbedingt ein Alphatier sein. Oder z.B. Erpel Mao: er war einer der
Diktatoren, welcher am meisten Zivilisten auf dem Gewissen hat. Und in China
lieben die Leute lackierte Ente, es ist eine Leibspeise, so dass der Diktator also eine Ente sein musste – es
ist sozusagen die Rache der kleinen unscheinbaren Zivilisten, die so Rache nehmen können.

Auf der iBUG 2015, Plauen

Die Herangehensweise ist also immer unterschiedlich. Z.B. fand dieses Jahr in Plauen in
einer ehemaligen Kaffeerösterei die sogenannte IBUG statt – Loomit und ich
überlegten also, wie man hier tierische Motive in das Gelände einbauen kann –
wir sind dann auf diese Luwaks (deutsch: Fleckenmusang) gekommen – das sind Tiere, die indirekt den teuersten Kaffee
der Welt produzieren, indem sie Kaffeebohnen fressen, das Fruchtfleisch verdauen und die Bohnen wieder ausscheiden. Für mich war schließlich also
klar, dass wir mit diesem Tier etwas machen können. Es sieht auch ganz schön
aus – es trägt eine Gesichtsmaske so ähnlich wie ein Waschbär. Hatte ich auch so
noch nicht gemalt.

Frankfurt, 2013

Dann habe ich mir überlegt, man müsse diesen klassischen Kontext
finden und recherchierte die Plauener Geschichte; hier entdeckte ich schließlich
einen Feldherr, der einmal Plauen überfiel und praktisch niedergebrannte, es
war der größte Krieg in Plauen bis dato damals. Zufällig fand ich von diesem
Feldherr einen schlechten Kupferstich, und wandelte diesen Stich um – nun hatte
ich mein (tierisches) Motiv. Es sieht oft immer klassisch, altbacken, oder auch dekorativ aus – aber eigentlich steckt wie
gesagt immer viel dahinter. Das ist mir wichtig. Ich habe auch Motive gemalt,
die ich einfach ästhetisch fand oder bei denen ich einfach experimentiert habe.
Aber in der Regel versuche ich schon immer viele Hintergründe bzw. Geschichten
mit einzubauen, also eine versteckte Botschaft zu integrieren, die man erst beim
mehrmaligen Hingucken entziffern bzw. erkennen kann.

Yo, vielen Dank für das Interview und vor allem viel Erfolg für das Museum!

Wir sind in jedem Fall gespannt, wie sich das Projekt entwickelt, und hoffen auf mehr Murals in Frankfurt – die dann auch länger stehen bleiben als das Gastspiel der Künstler*innen aus Brasilien.
Zum Schluss noch diverse Links zu Guidos Projekten und Werken (externe Links werden in einem neuem Fenster bzw. Tab geöffnet):

Projekt-Seite beim Startnext Crowdfunding hier –>
Website von Guido Zimmermann hier –>
‘London Calling’-Blog mit einem Bericht über eine großflächige Collabo im East End hier –>
Bericht im Hessenschau über das ‘Museum on the Street’ Projekt hier –>
Berichte und Bilder über Graffiti/öffentliche Kunst in Maintal bei Dosenkunst hier –>
Artikel in der Frankfurter Neue Presse über Malen an der Friedensbrücke hier –>
Freiluft Galerie Frankfurt/Ratswegkreisel hier –>
Kollektive Offensive: Bilder von der iBUG 2015 hier –>
Kollektive Offensive: Bericht über das damalige Gastspiel “Street Art Brazil” hier –>

Eine Antwort

  1. Impertin(Ente) sagt:

    Endolphine sind am schelmsten.

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