Erfurt – #likemyheimat – ja nee

Das Wandbild am Schmidtstetter Knoten, am Spielbergtor, welches vor kurzer Zeit noch mit Baustopp belegt war (Siehe TA 25.06.2019), ist nun fertig. Entstanden ist ein gutes Beispiel für  zeitgenössisches Artwashing, dreistes Geschäftsgebaren und mangelndes Problembewusstsein für Urban Art und öffentlichen Raum.

Um die Übersicht zu behalten, macht es Sinn noch mal die Beteiligten genauer zu betrachten.
Das Haus
Mit dem Eigentümer besagten Hauses hatte OQ-PAINT bereits in 2014-2015 Kontakt. Schnell war klar, dass eine künstlerische Gestaltung, aufgrund eines eher monetären Verwertungsinteresse von Eigentümerseite, nicht zu realisieren ist. Damit wurde die Wand aus Projektsicht ad acta gelegt. Der Eigentümer versuchte nun in den Folgejahren die Wand für Werbung nutzbar zu machen. Eine Nutzung als Werbefläche, wurde anscheinend bisher durch die Stadt (Siehe Thüringer Bauordnung § 10 Anlagen der Außenwerbung und Warenautomaten) und andere Instanz nicht genehmigt.
Nachtrag: Die Lage der Wand ist A+++. An einer der wichtigsten Verkehrsknoten in Erfurt gelegen und auch von der Bahnstrecke/ICE Trasse aus sichtbar.

Die Agentur – CROMATICS
“Wir absorbieren Trends, flashen auf Zukunft. We shape the future. Und die Welt ist unser Spielplatz. unser Playground. Dort tummeln wir uns. Dort treten wir in Beziehung. Für Marken mit Identität und Vision. Für ungezwungene Interaktionen. Echte Emotionen. Vor allem aber für zwischenmenschliche Spielplätze. Von Dresden aus. Und Berlin. Mit Methodik und Trends im Gepäck.” (Selbstbeschreibung)
Die Künstler – Capstan/Tulip
Die Urheber können so nicht als Künstler bezeichnet werden. Da das Erstellen und Anbringen von Werbegrafik kein künstlerischer Akt ist. Da hilft auch das bunte und große Format eines Murals wenig. Mittelmäßige Illustration und solide Auftragsmalerei wären da die treffenderen Beschreibungen für diese Kampagnenwände. 
Der Auftrag
Die Gestaltung selber durch Capstan/Tulip geht auf die PAINT CLUB BATTLE LEAGUE powered by Radeberger Pilsner zurück. Erster Preis der Battle war eine Motiv/Auftragsgestaltung für Radeberger. Capstan/Tulip entschieden den Thüringer– und im Anschluss die Ost-deutschlandweite Battle für sich. Auch hier ist der Kontext interessant: Die Teilnahmebedingungen an der Battle war so formuliert das Radeberger, Cromatics und Drittverwerter einseitig bevorteilt wurden. Diese Bedingungen der Battle wären allein ein Beitrag zum Thema: Wertschöpfungsketten im (urban) Kunst– und Kulturbetrieb wert.
Die Kampagne #likemyheimat
„Aus euren Ideen wurde erst Kunst in klein und jetzt auch in ganz ganz groß. Die Heimatgalerie ist nach draußen in vier Städte gezogen und fallen sofort ins Auge. Die Wände in Rostock, Magdeburg, Erfurt und Dresden zeigen eure Motivideen und unsere vielfältige Heimat. Schon gesehen?“ (Quelle)
Co-Creationistisch, crossmedial mit rundgelutschtem Kampagnensprech – inklusive ganz vielen Heimatgefühlen aus denen Kunst werden soll…..⟶

Herzlichen Glückwunsch! Die schöpferische Qualität der Gestaltungen liegen im Bereich des Meeresspiegels und wirkt wie zusammenhangloses Patchwork. Die Bedeutung von Heimat bzw. der Mitmachaktion a la #likemyheimat wird am anschaulichsten durch die Umsetzung der Größenverhältnisse von Bildelementen auf der Wand beschrieben. Wer das Heimatgefühl hinter einer 12 Meter großen Bierflasche, Etikett und Slogan noch findet muss wohl Auftraggeber/Mitarbeiter bei Radeberger, Cromatics oder einer der “Künstler” sein. Da hilft auch kein # oder Zweitverwertung durch bspw. Poster für Zuhause. 
Bezeichnend ist das sich weder Radeberger, Cromatics oder die “Künstler” zu der Erfurter Wand äußern, welche als Einzige der umgesetzten vier „Heimat-Wände“ in Ostdeutschland ohne Bierflasche auskommen muss. Probleme wie Baustopp oder Bauordnung passen halt nicht in die schöne heile #Kampagnenwelt. So lassen sich keine trendigen, ungezwungen Inhalte mit einer coolen Flasche Radeberger verbreiten. Wo und wie geplante Kommunikation/ Co-Creation – wiederhall fand lässt sich (am Beispiel) hier und hier nachlesen.
Das Problemlage
Die Lage/Kontext der Wand ist ein entscheidender Faktor in der Beurteilung der Lage. Die Wand befindet sich in unmittelbarer Nähe zu zwei* OQ-PAINT Murals (1/2*). Somit wird sich ganz bewusst an die Kunst im öffentlichen Raum rangewanzt. Ohne das Fundament von Kunst im öffentlichen Raum: Alt oder neu; Wandmalerei, Street Art oder Graffiti wäre die Vermarktung einer trendig-flashigen Kampagne an bspw. Radeberger nicht möglich. Die Tradition der Schilder- und Plakatmaler allein gibt das nicht her. Der Konflikt an dieser Stelle ist am besten durch folgenden Vergleich sichtbar: Die drei* Wände am Schmitdtstetter Knoten sind wie die Seiten eines Magazins/Zeitschrift, in der bewusst kein visueller, ersichtlicher Unterschied zwischen redaktionellen Inhalt und Werbung gemacht wird (Siehe: Native Advertising & Advertorials). So entsteht der Eindruck, dass die drei* Wandbilder/Murals gleichen Ursprungs, einer künstlerischen Intention folgenden – sprich zusammengehörig sind. Das ist kein Zufall sondern bewusst in Kauf genommen. Denn die beteiligten Akteure (Eigentümer, Agentur & „Künstler“) wissen genau was Sie da tun.
Das bewusste Verwenden einer Mural/UrbanArt Visualität geht zum Großteil auf die Professionalisierung von u.a. (ehemaligen) Graffitierzeugern im Bereich der Auftragsmalerei, Werbung und Kreativwirtschaft zurück. Am Ende muss nun jeder Schaffender für sich entscheiden – Wo beginnt der Sellout?! Gibt es inhaltliche Grenzen?! Hier haben Cromatics: #WALLSOFWIR “Jägermeister feiert Graffiti” zu bieten. 
Das Wände im öffentlichen Raum heutzutage auch für solche Zwecke vermarktet werden ist ein Geschäftsmodell. Wenn die Wand freisteht und nicht in Sichtachsen oder unmittelbarer Umgebung auf Kunst im öffentlichen Raum einwirkt/sich ranwanzt – so ist diesem Modell nur schwer argumentativ und mit gesunden Menschenverstand beizukommen. Unternehmerische Freiheit und der Mammon regeln! Da unterscheiden sich CROMATICS nicht von STROER.
Die Stadt
OQ-Paint selber hat viele Erfahrungen mit Erfurter Verwaltung aufgrund von Sanierungs-, Gestaltungs-, Altstadt- und Werbesatzung gemacht. Oft ist die Anwendung aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar – an dieser Stelle jedoch ist das Vorgehen (Baustopp) der Stadt uneingeschränkt zu begrüßen. Das letztendlich nun doch Werbung, in abgespeckten Form, auf der Wand steht ist leider dem Kompromiss von der Stadt gegenüber Agentur/„Künstler“ zu verdanken. Inkonsequent – aber irgendwo nachvollziehbar.
Fazit
Es geht nicht um Heimat, nicht um Kunst, Illustration oder Muralart. Das Image von Radeberger soll auf diese Art (inkl. Paint Club Battle) mit Hilfe der Kreativagentur Cromatics jugendlich geshaped-flashed werden. Wenn Absatz und die Kohle stimmen wird auf alles geschissen:  Heimatverbundenheit, Herkunft, Urban Art, Menschen vor Ort, Umgebung und öffentlicher Raum. Hätten sich Agentur oder “Künstler” mit Akteuren vor Ort kurzgeschlossen, wäre es nicht zu so einem gewollten visuellen Elend gekommen. Auch wenn Erfurt im Vergleich zu Rostock, Magdeburg und Dresden noch glimpflich davon gekommen ist. 

Das solche Wände in den o.g. Städten unwidersprochen (Szene, Stadt, Bürger) durchgehen bleibt ein Rätsel – das sich am Ende durch Geld und Tumbheit selbst löst. Mal abwarten, ob der Spuk in Erfurt in vier Wochen wieder vorbei ist?!
KRK – Team Members für OQ-PAINT
*Achtung Spoiler: Ab Oktober ist CASE wieder da!
Bilder:
https://cromatics.media/wp-content/uploads/likemyheimat-mural-dresden.png
https://cromatics.media/wp-content/uploads/Rostock-Wandgestaltung-Radeberger.png
https://cromatics.media/wp-content/uploads/Magdeburg-Sachsen-Anhalt-Fassadengestaltung.png

3 Antworten

  1. Anonym sagt:

    #hatemyheimat

  2. Anonym sagt:

    #leidernichtgeil

    Danke für die kritische Berichterstattung! Der Spoiler ist irgendwie das einzig positive.

  3. #leidernichtgeil sagt:

    Sieht abgesehen vom Inhaltlichen halt auch einfach mal echt kacke aus. Das geht zear voll an der Kritik im Artikel vorbei aber ich muss sagen dass es schon amüsant ist, wie sie jeder Provinzregion das Gefühl geben besonders zu sein "Danke Sachsen" "Danke Thüringen" "Danke Name hier einfügen" ausserdem ist das in Thüringen auch mit Abstand das hässlichste, einziger Pluspunkt ist, dass sie keine Bierreklame reinkloppen durften.

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