Der große Wurf

Ende August diesen Jahres hat die Stadt Erfurt gemeinsam mit der Deutschen Bahn einen Wettbewerb ausgelobt. Dessen Ziel war es, die Eisenbahnbrücke in der Löberstraße neu zu gestalten. Trotz eines engen Zeitfensters war die Aufgabenstellung der Ausschreibung inhaltlich offen gehalten und lud ausdrücklich zu freien künstlerischen Entwürfen ein.

Aus der Ausschreibung: »„Street Art“ an Eisenbahnbrücken soll zu einem Markenzeichen der Stadt werden.« Der hierin ersichtliche Wille von Stadt und DB, freie künstlerische Gestaltung mit direktem Bezug auf Streetart an wesentlichen Infrastruktureinrichtung im städtischen Raum zu fordern und deren Umsetzung dann auch anzugehen, liest sich bemerkenswert und wäre noch vor einigen Jahre schwer vorstellbar. So ist selbst ohne Bezug zur Graffiti-Angstraum-Debatte die öffentlich ausgeschriebene Gestaltungsaufgabe mit Fokus auf Street Art ein Novum in Erfurt und umso mehr zu begrüßen, vor Allem vor dem Hintergrund der Bereitschaft, auch in naher Zukunft eine Reihe von Brücken- und möglicherweise anderen Bauwerken entlang des Bahnstreckengeländes unter ähnlichen Parametern gestalten zulassen.

So weit so gut…

Am 01.10.2019 ist durch die Stadt der Gewinnerentwurf veröffentlicht wurden und hier einsehbar. Leider wurden dabei weder die Begründung der Jury bekannt gegeben, noch die anderen 10 Einreichungen der Mitbewerber gezeigt. Dagegen fand eine Selbstreflexion des graffiti-präventiven Wettbewerbssiegers und die Befreiung von “illegalen Plakaten und Schmierereien” Erwähnung im Beitrag. Für ein Gros der sicherheitsempfindlichen Bevölkerung (Angsträume) mag das alles Rechtens oder zumindest nachvollziehbare Praxis sein.

Nun ist die Arbeit fertig und eingeweiht. Das finale Bild, aber vor allem die Situation an sich, öffnet Raum für Gedanken und Spekulation – der nun befüllt wird. Allerdings mit möglichst wenig MiMiMi, denn der Autor gehörte ebenfalls zum Bewerberfeld. °_°
Sondern unter der Maßgabe das, das und folgende Vorhaben, das Erfurter Stadtbild die kommenden 5-10-15 Jahre prägen sollen/werden!

Unter Druck, Diamanten und Kohlenstaub

Die kurze Ausschreibungsdauer und der Durchführungszeitraum (August – Oktober) für den Startschuss der selbstgestellten Mammut-Aufgabe »STREET ART an Eisenbahnbrücken als Markenzeichen der Stadt« ist der finalen Gestaltung anzusehen. An dieser Stelle soll nicht über die künstlerische Qualität des Siegerduos geurteilt werden. Sollte man allerdings den Entwurf als mittelmäßig, belanglos oder beliebig empfinden, bestände die Möglichkeit der Annahme, dass es aufgrund von Zeitmangel und anderen Umständen wie honorarfreier Entwurfsarbeit einfach nicht für einen besseren Entwurf gereicht hat.

Fun fact: Die Abgabefrist der Ausschreibung lag auf einem Feiertag. Kommt vor.

Dabei sind geometrische Flächen (bestehend aus mehr Geraden als Diagonalen) auf einem Bauwerk, das ebensolche Flächen baubedingt beinhaltet, noch nicht einmal Maßstab künstlerische Qualität oder deren Beurteilung, es sei denn, sie wurden als “Farbfeldmalerei” bewusst ausgeschrieben. So bleibt der einzige Referenzpunkt die Bauelement der Wand und damit die Imitation der unterlegten Struktur.

Wenn am Ende unter 11 eingereichten Entwürfen der Gewinnerentwurf derjenige ist, der den geforderten Zielen so am nächsten kommt, wäre eine Neuausschreibung die beste Lösung gewesen.

Stattdessen werden für den Juryentscheid Kritikpunkte in den Vordergrund gerückt, die in keiner Weise im Rahmen der Ausschreibung erwähnt wurden und daher rückwirkend betrachtet signifikante Auswirkung auf die Entwurfsergebnisse aller Bewerber oder gar deren Teilnahme am Wettbewerb gehabt hätten. Geht das in die gängige Praxis ein, könnte man ja zukünftig auch den Bau von Fußgängerbrücken ausschreiben, um später Züge darüber fahren zu lassen.

Die durch die Stadt Erfurt veröffentlichten Statements und Hinweise nach der Juryentscheidung sprechen hier für sich: »Ich freue mich, dass die Brücke nun von illegalen Plakaten und Schmierereien befreit und künstlerisch gestaltet wird. Dies wertet die Brücke nicht nur baulich auf, sondern hat auch einen positiven Einfluss auf das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung«
»Ziel ist neben der ästhetischen Aufwertung der Bauwerke auch ein Schutz vor illegalem Graffiti. Erfahrungsgemäß werden künstlerisch gestaltete oder mit Graffiti versehene Flächen weniger beschädigt und besprüht.«
Das Verwenden von „Ästhetischen Aufwertung“ allein ist schon Zeugnis genug von elementarer Anspruchslosigkeit gegenüber dem Gesamtvorhaben, das im Nachgang wie eine Ohrfeige für alle Wettbewerbsbeiträge wirkt.
Mutmaßlich sind vorangegangene Erfahrungswerte Grund für diese Form von Design-Pishing. Zum Vergleich: Bei einer Ausschreibung im Jahr 2018 zur Gestaltung einer Turnhalle in Erfurt Nord wurde „Graffitischutz“ als Hauptmerkmal als Bewertungskriterium der Gestaltung benannt. Es endete im verbalen Offenbarungseid, sodass sich die Jury durch »Die Wirkung des ‚durchgeleitet‘ werden« sehr angesprochen fühlte. Seit dem will man nur noch schnell weg von dort.

So wird auch die handwerkliche Qualität/Ausführung nicht gewichtet. Denn für ein Wandbild im öffentlichen Raum, das auf Farbflächen beruht, in diese Qualität schwer akzeptabel. Wie das ganze in ein paar Jahren (Verwitterung von Sprühfarbe vs. Wandfarbe) aussieht, ist den Beteiligten scheinbar egal.

 

Der Tapetentunnel

Neben der Diskrepanz zwischen Ausschreibung und Ergebnis gibt es noch das Entscheidungsverfahren selbst, bei dem offensichtlich kein kuratorischer Gedanke an das “Mammut” verschwendet wurde. Es zeugt vom Fehlen der künstlerischen Expertise und Verständnis für Kunst im öffentlichen Raum, dass bei Erfurts Blick in andere Städte so sehr geneidet wird.

Die ins Zentrum gerückte Kunstrichtung “Streetart” ist reines Alibi und quittiert hinsichtlich der Pressemitteilung Sachunkenntnis seitens der Aufgabensteller (Geschäftsstelle Kriminalpräventiver Rat der Stadt Erfurt) und der Jury. Das Auswählen und Anbringen einer Farbfeldmalerei an einer Straße erzeugt nicht automatisch Streetart. Hätte im Ausschreibungstext “Tapete” statt “Streetart” gestanden, wäre dieser Punkt obsolet und »Tapete an Eisenbahnbrücken als Markenzeichen der Stadt« ein passenderer Auftrag zum gewünschten Ergebnis. Ohne jetzt den Begriff Streetart inhaltlich definieren oder eingrenzen zu wollen, lässt sich schon bei laienhafter Recherche feststellen, dass Streetart im Allgemeinen wie auch ein überwiegenden Teil der Werke figurativ, „lesbar“ und mit Aussage jeglicher Art behaftet und verbunden wird. Abstrakte Wandmalerei, Op-art und ähnliches haben indes auch ein Dasein und sind legitim, weil sie die Betrachter im kleinsten gemeinsamen Nenner vereinen – sie tun niemanden weh- und so den oft gegangenen Modus von abstrakter Kunst im öffentlichen Raum dienen.

Der Gewinnerentwurf allerdings hat, so weit zu sehen, mit der Idee von Abstraktion durch Express– und Kubismus zu tun. Die Komposition erfährt keine tiefe, keinen Raum und zerfällt im Detail als beliebige Aneinanderreihung von Formen und flacher Farbe. Es bleibt offen, ob ein repetitiv und in allen Teilen derart austauschbares Pattern dem eigentlichen Zwecke gerecht wird und nicht doch als willkommenes Hintergrundrauschen für “illegale Plakate und Schmierereien dient”.

Fun fact: Der Tapetentunnel liegt übrigens direkt unterhalb einer von TASSO gestalteten DB Halle. Ein Bild das leider aufgrund der Lage nur in den Wintermonaten zu erahnen und nicht frei zugänglich.

Ursachenforschung
Der Verzicht auf Anspruch, Transparenz und Expertise als Merkmale dieses Wettbewerbs legen den Schluss nahe, dass die „Arbeit“ (an einer mittelmäßige visuelle Monokultur) des Stadtbildgraffiti e.V. gemeinsam mit Dieter Hennig in Kombination mit der jahrelangen Kampagne „Graffiti schafft Angsträume“ durch Marion Walsmann (siehe Stadtbildgraffiti e.V.) nicht nur dauerhaften Schaden im Stadtbild, sondern auch in den Köpfen der Menschen und damit Ausrichter angerichtet hat. Der Kreis schliesst sich durch die Tatsache, dass die Ausschreibung über den von Frau Walsmann angeregten „Graffiti-Präventionsfonds“ mitfinanziert wird.
Aber egal ob man schnell weg will oder Raum für Angst haben soll: Die letztendliche Verantwortung trägt die Jury – die eine Wahl hat. So muss die Frage gestellt werden: Wurden die Stimmen (Kunstkommission und freie Szene) innerhalb der Jury gleichermaßen gehört – oder konnten sachunkundige Personen (Ordnungsdezernat und Instandhaltung DB Netz AG), qua Amt, über die Gestaltung des öffentlichen Raumes endgültig entscheiden?

Möglicher Fun fact: Noch vor der nächsten Ausschreibung kann es zur Sachbeschädigung kommen, die Pressemitteilung/Presseartikel und Statements mit der Schlagzeile: „Vandalen: Kunstwerk beschmiert“ – zur Folge haben. Um dann völlig unreflektiert Unverständnis über die chuzpe von einzelnen „Schmierfinken“ zu äussern, die ebenfalls qua Amt den öffentlichen Raum für sich reklamieren.

Fazit
Wenn bei den zukünftig geplanten Ausschreibungen und den damit verbundenen Entscheidungen, „Street Art“ an Eisenbahnbrücken soll zu einem Markenzeichen der Stadt werden..«,  weiter ohne Sachkenntnis und kuratorische Expertise entschieden wird, wird das Ganze zu einem visuellen Disaster. Sollte es jedoch daran liegen, dass am Ende durch ein Mehrheitsentscheid das geringste Übel den Zuschlag bekommt, wäre es geboten diese Praxis zu überdenken. Eine Ausschreibung kann wiederholt werden, es kann aber auch um Vorschläge von Experten für Kunst im öffentlichen Raum für potenzielle Künstler*innen gebeten werden. Geld für andere Wege als den Jetzigen ist/war anscheinend vorhanden.
Bei zukünftigen Ausschreibungen müssen alle Entwürfe veröffentlich werden, um ein Auseinandersetzung mit Kunst im öffentlichen Raum zu erzeugen. Eine solche Transparenz lenkt den Fokus dann auch wieder auf die Arbeit und Qualität der Künstler*Innen.

Autor: KRK // Team Members (Danke an S.B. für das gegenlesen)

9 Antworten

  1. Schon interessant wie in Erfurt so viel politik mit graffiti gemacht wird, obwohl die Stadt nun echt kein Graffiti-Problem hat.
    #Rentnersyndrom #Hauptsache-angst

    Ist zwar unwarscheinlich dass es passiert, weil es ja auch noch genug Spots gibt und an der Straße auch nachts oft die Cops vorbeicruzen aber wenn Leute ihre Bilder da drüber malen wollen, dann haben die zumindest schonmal einen Background und ne Grundierung.

    • Anonym sagt:

      Ist aber schon dick asozial da reinzucrossen…

    • Anonym sagt:

      warum ist es asozial da reinzocrossen?
      Ist finde ich jetzt kein unterschied zu einer anderen frisch gestrichenen fassade.
      Die haben doch selber zugegeben dass sie den Tunnel nur so bemalt haben, damit dort kein graffiti mehr entsteht, ist also eine Art Kampfansage.

      Mit graffiti hat so ein Auftrag für mich wirklich gar nichts zutun.

    • Anonym sagt:

      Ansichtssache, aber auch der Künstler diesen Werkes hat dort viel Mühe und Arbeit hineingesteckt, wenn man nicht grade mit einem 5-Farbigen Wildstyle Burner mit background drüber geht ist es für mich das gleiche wie wenn ein Toy einen besseren crosst (egal ob an der wall oder generell)

  2. Schwipsi sagt:

    Viele bunte Farben und lustige Formen. Fertig ist das "Graffiti" für den Normalo-Bürger. Auf jeden Fall besser als eine graue langweilige Wand und wenn jetzt noch ein paar illegale Bilder reingemalt werden dann wirds doch wirklich erst interessant. Ich stelle mir das hübsch vor.

  3. Anonym sagt:

    guter artikel!
    und netter background den die da "gestaltet" haben.

  4. dr.hot sagt:

    mir gefällt wie die künstlerische unfähigkeit/inkompetenz der ''entscheider''
    und auf der anderen seite die machtlosigkeit der ach soo offiziellen jurry ,
    hier angesprochen wird.

    das eigentlich traurige mit öffentlichen geldern wird selbst bei so einem kleinem projekt unfähig umgegangen

    angenommen : tausend euro für eine vollständige sachkundige jurry mit genug stimmrecht wären hier gold wert gewesen.

    anstatt die überheblichkeit der db und preventiven räte ,
    genug know zu besitzen um über 350m² offentlichen raum gestalterich entscheiden zu vermögen.

    fun fact:

    mein entwurf wäre zu spät angekommen und es führte auch nach einem telefonat kein weg rein um 24 stunden aufschub frist zu bekommen , lächerlich.

    fazit das ist unsere zeit :
    schnell ,schnell und wenig kosten soll es !
    die von morgen werden es schon gerade biegen
    hauptsache ICH hab bald feierabend .
    amen

  5. Anonym sagt:

    natürlich sollte es *know-how heißen -.-
    was so viel wie fertigkeiten bedeutet

    • Anonym sagt:

      Aaaah wasn fail aber keine Sorge, ich denke die hätten deine Idee ohnehin abgelehnt, wenn es vom grafischen ANspruch über Tapete hinaus gegangen wäre.

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