Kunst braucht Werbung. Werbung braucht Kunst.

Dass es kein richtiges Leben im Falschen gibt, die Erfahrung haben sicher schon viele gemacht.
Dass Graffitiflächen Mangelware in Frankfurt sind, ist auch kein Geheimnis. (Die Flächen an der EZB-Baustelle werden auch irgendwann wieder verschwinden, wenn der kapitalistische Verwertungsmotor richtig zum Laufen gekommen ist, und aus dem Ostend/Osthafen die nächste Glas-Beton-Wüste geschaffen hat. Graffiti bleibt oft eine Zwischennutzungsform von Räumen in ihrer Entwicklung zur Sauberkeit und Sanierung und Neubau).

Um dies geht es in dieser konfusen Gedankensammlung, die mehr geworden ist als eine Veranstaltungsankündigung.

Bemerkenswert ist es allemal, wenn in Frankfurt ganze Hausfassaden kreativ gestaltet werden. Spot und Atem konnten sich gerade in der (unteren) Berger Straße verwirklichen und ab Mittwoch gibt es dort auch noch paar Tage Kunst- und Kulturprogramm. Schön und gut – aber auch irgendwie nicht.

“Kunst braucht Freiraum. Kunst braucht Austausch. Und: Kunst braucht Publikum.”…
…denkt sich eine Zigarettenfirma (bzw. deren Marketingfirma) und sponsort in verschiedenen Städten Deutschland Räume für Kunst. In Frankfurt wird vom 17.10. bis zum 20.10. also ein Kunst- und Kulturprogramm angeboten, welches neben der Fassadengestaltung auch Raumgestaltung bildender KünstlerInnen, Konzerte, Poetry Slam, Kurzfilme, einen StopMotion-Workshop und die hier bereits angesprochenen Streetart-Stadttouren umfasst.

Es ist sicher gut für das Publikum, mal wieder ein Kunst- und Kulturprogramm jenseits etablierter Einrichtungen besuchen zu können.
Es ist gut für die Künstler_innen, diese Möglichkeit von Kunst- und Kulturraum zu haben.

Aber: Für wen ist es noch gut?
Sicher auch für die Zigarettenfirma, die gerne mit Freiheit und Unabhängigkeit für ihr Suchtmittel wirbt. Denn Urban Art ist längst als Image in der Werbung angekommen.
Gut für die Marketingagentur, die das Event organisiert, denn damit verdient man ja auch Kohle.
Gut für den Eigentümer, hat er der Fassadengestaltung doch wohl vermutlich in erster Linie zugestimmt, damit das Geschmiere an der Fassade verschwindet. Der Leerstand wird aufgewertet und so stört man sich vielleicht weniger an dem jahrelang leer stehenden Haus in einer Stadt, in der zu Semesterbeginn Studierende auf Notbetten schlafen müssen.

Im Innern des Hauses soll Asbest eine Sanierung erschweren. Insofern bleibt zu hoffen, dass die bemalte Fassade länger bleibt. Warum wurde der Leerstand nicht schon früher zum Bemalen freigegeben?Vielleicht, weil noch niemand gefragt hat – das kann durchaus sein. In einer Stadt, in der jeder Quadratzentimeter kommerzialisiert ist, in der Graffiti möglichst schnell gebufft wird, in der Sticker von Ampelmasten gespachtelt werden, scheint es vielen kaum denkbar, dass man für unkommerzielle Kultur- und Kunstprojekte Raum bekommt. Vielleicht ist mehr möglich, wenn man sich diesbezüglich engagiert und organisiert.
Vielleicht wurde die Fläche aber nur freigegeben, weil es das Projekt einer Marketingagentur für eine internationales Unternehmen war.
Bleibt wohl im Wesentlichen die Frage nach der Finanzierung, wenn sie nicht durch Unternehmen geleistet wird. Es ist schon armselig für eine Metropole, wenn Kulturevents jenseits des Mainstream regelmäßig nur durch Sponsoring von Firmen möglich sind. Ich halte es schon für eine wesentliche Aufgabe der Stadt, Raum und Geld für künstlerische Arbeit zur Verfügung zu stellen – Graffiti gehört ausdrücklich dazu. Die Frage, warum nicht diese Fassade früher bemalt wurde und die letzten Jahre z.B. mit wechselnden Motiven für Diskussionen und Begeisterung gesorgt hat, ist die eine. Die andere ist, warum nur Leerstand bemalt werden soll, warum es nicht mehr Fassaden gibt, die nicht nur international bekannten, sondern auch lokalen Künstler_innen die Möglichkeit geben, sich so kulturell auszudrücken, wie das in Metropolen weltweit üblich ist.
Allerdings auch hier wieder die Ambivalenz: Auftragsgestaltung dient der Vermeidung von ungefragter Wandgestaltung in Form von Graffiti und Streetart – und das Unerlaubte, Spontane und nicht Genehmigte ist in meinen Augen wesentlicher Bestandteil von Streetart/Graffiti.

“Kunst braucht Freiraum…”
Dass sich Künstler_innen solche Möglichkeiten nicht entgehen lassen, finde ich nachvollziehbar. Schließlich scheint es ja auch eine Perspektive zu geben, dass die
Wände länger bunt bleiben, da der Beginn der Fassadensanierung noch
etwas dauern wird. Letztlich soll ja auch nicht an allem einfach nur rumgemeckert werden, es ist vielmehr das Bedauern, dass wir im Kapitalismus leben. Der Verwertungsrahmen, in dem Kunst hier inszeniert wird, stört mich. Autonome Kultur- und Kunstprojekte, wie z.B. das Gängeviertel in Hamburg, zeigen, dass man sich weitaus mehr Freiraum aneignen kann, als das bei einer Viertagesveranstaltung einer Zigarettenfirma der Fall ist. Denn der dort durch die Marketingagentur angepriesene angebliche Freiraum ist doch recht überschaubar – zeitlich, räumlich und innerhalb der vielseitigen Verwertungsinteressen von Hauseigentümern, Leerstandsverwaltern, Unternehmen und Agenturen.

In diesem Spannungsverhältnis kann man sich also von Mittwoch bis Freitag das Programm des Variété liberté anschauen.

4 Antworten

  1. Anonym sagt:

    hier wird gentrifizierung praktiziert! die künstler die mitmachen helfen mit, die mieten in ffm ins unermessliche steigen zu lassen…

  2. universaldilletant sagt:

    "mithelfen" geht etwas zu weit, finde ich – da hilft ja letztendlich jede/r mit, auf ganz unterschiedliche Art und Weise bzw. wird sich die Mietentwicklung auch nicht durch Nichtbeteiligung stoppen lassen. Vielleicht geht es mehr darum, wie man alternative Kunstprojekte selbstorganisert umsetzen kann.

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