Brazil came to Frankfurt ODER Frankfurt came to Brazil

Angesichts der wunderbaren Kunstwerke, die im Rahmen der nun zu Ende gegangenen Schirn-Ausstellung “STREET-ART BRAZIL” entstanden sind, fällt es einem schwer, Kritik an dem Ganzen auszuüben. Nichsdestotrotz ist Kritik angebracht …

Wer sich nur ansatzweise mit Graffiti und Street Art in Frankfurt und Süd-Amerika auseinander gesetzt hat und dann auf der sogenannten Eröffnungs-Street-Party mehrmals Sätze wie “Oh DAS nenne ich nun Kunst” oder “DAS ist was anderes als diese übliche Schmiererei” anhören musste, konnte nur mit dem Kopf schütteln, dank der Oberflächlichkeit und Unwissenheit solcher Statements. Es ist klar, dass die Schirn ihren Sponsoren und Klientel etwas Großartiges “auftischen” muss. Unumstritten ist auch, dass die MacherInnen der Ausstellung sowie für Street Art als auch für Brasilien eine große Liebe haben. Trotzdem hätte mehr getan werden können und müssen, um nicht nur die Unterschiede zwischen Frankfurt und Brasilien in Sachen Graffiti klarzustellen, sondern auch die Ähnlichkeiten. Zum Beispiel warum solch großartige Street Art dort möglich ist. Aber keiner hier will wohl hören, dass etwas mit seiner Mentalität nicht stimmt. Als klares Beispiel dafür muss man nur die Verzierung der Untermainbrücke von Zezao betrachten und sich dann fragen, warum der Wal, der damals an eine Mauer am Mainkai gemalt wurde, gebufft werden musste. An der Wertigkeit der Kunst liegt es sicherlich nicht.

Auch die von den MacherInnen der Austellung angepriesene “ungeheure Vielfalt von Techniken und Stilen” (für mich eine unterschwellige Abwertung der in Frankfurt und sonstwo auf der Welt üblich eingesetzten Techniken und Stilen) war nicht zu erkennen, sieht man von den von Fefe Talavera eingesetzten Papier-Buchstaben ab. Alle anderen Künstler arbeiteten mit Farbe aus der Sprühdose. Die kollagenhafte Arbeit von Herbert Baglione, zum Beispiel, ist nicht viel anders als die von PYC an dem Brückenpfeiler der Deutschherrenbrücke; das neueste Werk von NEO REBEL und KNSTFHLR an der EZB hält jedem Vergleich mit dem von GAIS an der Bauwand neben der Schirn stand.
Apropos Bauzäune: Was ist der große Unterschied zwichen der wunderschönen Malerei von Rimon Guimaraes an der KfW und – um nur ein Beispiel zu nennen – der von BFREE an der EZB? Und man brauche sich nur einige Arbeiten von LOOPIN’ anzugucken, um festzustellen, dass der Stil von dem Brasilianer ONESTO nicht einzigartig ist. Über die Techniken brauchen wir gar nicht zu reden. Da hat Frankfurt mit den jüngsten Werken von SPOT schon etwas Einzigartiges anzubieten, sei es die gedrippten Visagen oder die Arrangements-Ausstellung in der Taunusanlage S-Bahn-Station (wir berichteten).

Da wären wir dann beim nächsten Kritikpunkt angelangt. Wenn man eine Ausstellung über Street-Art in Frankfurt veranstaltet und dazu die Künstler dann überall in der Stadt malen lässt (und sogar noch an U-Bahn-Waggons!), müsste es doch von vornherein klar sein, dass zwangsläufig Vergleiche angestellt werden. Und es geht natürlich um die Frage, wer die Deutungshoheit über Graffiti und Street Art einnimmt und dass es auch ein bißchen fragwürdig ist, wenn die Deutungshoheit über eine kaum institutionalisierte Kunstrichtung von großen Kunstinstitutionen übernommen wird.
Ohne die Integrität der MacherInnen in Frage zu stellen, wäre es nicht sinnvoll gewesen, mindestens ein oder zwei Arbeiten gemeinsam mit Frankfurter Street-Art-Künstlern entstehen zu lassen? Die entsprechenden Kontakte gibt es bei der Schirn. Siehe dazu die damalige Graffiti-Akademie. Das wohl einzige gemeinsame Projekt war das zwischen TINHO und EAT an der Friedensbrücke. Und dies ist auf privater Initiative enstanden. Die Tatsache, dass im Rahmen der Ausstellung ein anderer Frankfurter Künstler quasi unbemerkt und diesmal bei Tageslicht auch seine Kunst bzw. Message rüberbringen dürfte, spricht schon Bände.

Der geniale Querdenker Albert Einstein fragte einmal den Zug-Schaffner, ob Zürich halt mache, an dem Zug in dem er fuhr. So oder ähnlich ist diese Ausstellung auch zu sehen. Es bleibt also der Eindruck, dass Frankfurt eher am Brasilienzug gehalten hat, als dass der Brasilienzug in Frankfurt gehalten hat.

Aber da der Brasilienzug doch unbestritten interessant, vielfältig, beeindruckend und schön war, zeigen wir nochmal ein paar Bilder. Die Dauerhaftigkeit der Bilder hängt von den weiteren Verwertungsplänen der Immobilieneigner ab – darüber brauchen wir nicht nur traurig zu sein, da es auch in Frankfurt genug kreative Köpfe gibt, die sich dort austoben, wo es alle kostenlos anschauen können.

Alexandre Orion
gemalt an einem leerstehenden Büro-Gebäude

Herbert Baglione
gemalt an der Hauptwache
Jana Joana & Vitché
gemalt an der Schirn

Fefe Talavera
Papier-Buchstaben an der Deutschen Bank

Zezao
gemalt an einer Decke an der Schirn
und unter der Untermainbrücke

Rimon Guimaraes
gemalt am KfW-Bauzaun

Nunca
gemalt an einer leeren Giebel-Wand

ONESTO
gemalt an einem leerstehenden Büro-Gebäude

SPETO
gemalt an einer Kirchen-Wand

GAIS
gemalt am Bauzaun neben der Schirn

TINHO
gemalt an einem leerstehenden Polizei-Präsidium

TINHO & ONESTO
gemalt an U-Bahn-Waggons

5 Antworten

  1. skFFM sagt:

    Es gab anlässlich der Frankfurter Buchmesse 2013 mit dem Ehrengast Brasilien einige Veranstaltungen in Frankfurt, bei denen das Gastland aufgegriffen wurde und in den Mittelpunkt des Geschehens gerückt wurde- ohne "Rücksicht" auf Künstler oder Autoren der Stadt des Austragungsorten zu nehmen. Ich finde das nicht weiter wild, jedenfalls habe ich es zu keinem Zeitpunkt so empfunden, als müsse sich hier irgendwer abgewertet fühlen.

    Vielmehr habe ich es als Abwechslung zu dem wahrgenommen, was sonst so in Frankfurt zu sehen ist. Beide "Welten" sind sehenswert und alle Künstler_innen vergleichslos originell, mind. was die inhaltlichen und ästhetischen Aspekte betrifft. Technisch betrachtet meine ich übrigens, dass auch Alexandre Orion nicht mit "Farbe aus der Sprühdose", sondern mit Ruß, gearbeitet hat, zumindest war dies so angekündigt.

    Diese "Ausstellung" hat jedenfalls eines erreicht: Aufmerksamkeit für Street Art, und zwar weit über die Kreise hinaus, die diesem Thema auch sonst schon Aufmerksamkeit schenken. Vielleicht lässt sich das künftig auch zugunsten lokaler und regionaler Tätigkeiten nutzen und als Chance ergreifen.

  2. Anonym sagt:

    interessanter beitrag, allerdings vermisse ich einen Hinweis oder allgemein etwas zu den pixadores in Brasilien, die ja nun maßgeblich brasilianische Stadtbilder prägen und auch das Bild (zumindest meins) über Graffiti in Brazil geprägt haben….
    aber das ist wohl eher die kategorie: "noch schlimmer als die übliche Schmirerei!!!"
    Das ist ja überall……

  3. @skFFM: Ja, sicher ist das auch im Buchmesse-Kontext zu sehen, aber der Buchmesse-"Zirkus" ist mir auch in der Tendenz zu oberflächlich – genauso, wie ich die GegenBuchMasse als low-budget-Ansatz für Verlage und Autoren mit weniger öffentlichem Hype vorziehe, ziehe ich auch Veranstaltungen vor, in denen Akteure der Graff-Szene die Ausrichtung bestimmen. Aber klar, finanziell kann das ein Szene-Verein nicht stemmen und den Zugang zu Immobilienbesitzern hat man auch nicht – aber da würde ich tom+Jerry zustimmen, dass es interessant gewesen wäre, dies im Veranstaltungsrahmen anzusprechen. Denn es ist ja maßgeblich eine Kulturform, die von der Straße kommt. Insofern ist der öffentliche Umgang damit maßgeblich für die Entwicklung. Wenn davon geschwärmt wird, dass die Künstler ganze Viertel mit ihren Werken dominieren, dann liegt es mit Sicherheit auch stark daran, dass dort nicht überall Kameras hängen, wachsame Nachbarn die Polizei rufen und alles schnellstmöglich gebufft wird.
    Und natürlich ist das Thema damit schon öffentlich positioniert worden, das ist mit Sicherheit ein positiver Aspekt, den man auch nutzen sollte. Wenn man immer wieder hört, dass das nun wirklich schön sei, scheint der Weg allerdings noch weit zu sein, bis eine Mehrheit begreift, dass diese Ästhetik auch nur das Ergebnis jahrelanger Sachbeschädigung ist.

    @ Anonym: Mit dem Titel und dem Konzept der Veranstaltung ist der Fokus klar auf eine Sparte des brasilianischen Graff/Streetart-Dings geworfen worden. Das ist ok, ein Überblick über die ganze Szene sollte das gar nicht sein – und welche Sparte nun das Bild über Graffiti allgemein in Brasilien bestimmt, ist sicher auch sehr abhängig von dem jeweiligen Zugang. Mir war dieser bildhafte Ansatz als eigenständige Sparte vorher nicht so präsent, insofern in jedem Fall ein Erkenntnisgewinn, während ich über Pixação bzw. Pixadores schon etwas mitbekommen hatte.

  4. Anonym sagt:

    Fame zu verkaufen, Fame zu verkaufen! Wer will Fame? 30% nur noch diese Woche

  5. Anonym sagt:

    Sehr traurige, glatte und kühle Veranstaltung. Einseitig dargestellt und das gesamte Potential hinsichtlich kulturellen Austausch, Kommunikation und Vernetzung welches diese Darstellungsform namens Streetart oder Graffiti ausmacht, wurde nicht ausgeschöpft. Schade für die Gäste beschämend für eine hochkarätige Einrichtung wie die Schirn.
    Aber immerhin ein erster wenn auch unprofessioneller Schritt.

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