“Sie haben das Recht zu schweigen” – Interview mit einem Anwalt

Fred Wenzel ist Rechtsanwalt in Frankfurt. Er hat als Strafverteidiger die
entscheidende Wende in der Rechtsprechung in Bezug auf Grafitti mitverfolgt und
seinen Anteil daran, dass nicht mehr ohne Weiteres einer Person gleich mehrere
Sachbeschädigungen mit demselben Pseudonym zugeordnet werden können. Wir haben
uns mit dem Anwalt getroffen, um mehr über Strafverfolgung von Writerinnen und
Writern zu erfahren.

Du hast mal eine Zeit lang sehr intensiv
Personen verteidigt, denen Sachbeschädigungen durch Graffiti vorgeworfen
wurden. Wie kam es dazu?

Das
kam über eine Verbindung aus Aschaffenburg, da hab ich viel für Leute aus der
Antifa gemacht und in Aschaffenburg sind die verschiedenen Szenen eher klein
und das überschneidet sich dann. Dann landeten paar Writer bei mir und gleich
mit einem ziemlich groß aufgezogenen Ermittlungsverfahren. Es ging um 30 oder
40 Züge. Das haben wir dann auch über drei Instanzen getrieben und am Ende ist
das gut ausgegangen und dann war ich halt ein Name in der Szene und die Leute
kamen aus Braunschwieg, Hamburg, Nürnberg, Karlsruhe….

Beschäftigen dich Graffiti-Straftaten
immer noch intensiv?

Ich
mache immer noch Strafrecht, aber ich mache tatsächlich weniger zu Graffiti als
früher. Es gab eine Zeit, da war es sehr, sehr intensiv. Seit einigen Jahren
ist das weniger geworden, aber ich habe immer noch laufend irgendwelche
Graffiti-Akten.  Die Zeit der großen
Verfahren ist bei mir vorbei. Es kann auch sein, dass es einfach nicht mehr so
viele große Verfahren gibt.

Welches persönliche Interesse verbindet
dich mit der Arbeit als Rechtsanwalt im Graffitibereich? Warum vertrittst
du Schmierfinken mit Narrenhänden?

Mich
interessiert das schon in erster Linie unter juristischen Gesichtspunkten. Die Verfolgung
von Writern war so absurd früher. Ich hatte auch immer das Gefühl, dass da so
ein Waffenungleichgewicht herrscht. Writer sind ja meist einzelne Leute, oft
jüngere Menschen. Dann tritt denen der ganze Staatsapparat entgegen, mit AG Graffiti
Sonderkommission und so. Dem gegenüber steht ein 16, 17 oder 18jähriger, der möglicherweise
noch seine Eltern im Nacken hat und dem die Bude bei einer Hausdurchsuchung auseinandergenommen
wurde. Da hat es einfach Spaß gemacht mich auf die Seite der Betroffenen zu
stellen. Ich habe auch schnell gemerkt, dass man mit einer guten Verteidigung viel
erreichen kann.

Was hat sich denn in der Rechtsprechung
konkret verändert?

Wer überwacht die Überwacher?

Als
ich anfing war es üblich, das große Verfahren aufgemacht wurden.  Jedes Tag in der Stadt wurde gezählt. Das
waren dann 70 Sachbeschädigungen oder auch mal 100 oder 200. Und das wurde
alles einer Person übergebügelt, von der die Polizei glaubte, dass sie diejenige
ist, die das tagt. Und das ging auch lange so durch. Es war ein harter Kampf,
bis wir es geschafft haben, die Auffassung durchzusetzen, dass man nicht mehr
pauschal sagen kann, dass für die gleichen getagten Namen automatisch die
gleiche Person verantwortlich ist.

Nach
mehreren Verfahren mit guten Urteilen wurden diese pauschalen Anklagen deutlich
weniger. Es gab immer noch Gerichte, die das so gemacht haben, aber es wurde
weniger – irgendwann hörte es dann auf.

In Polizeimeldungen, die wir ja hin und
wieder auch auf unserem Blog veröffentlichen, wird doch aber immer noch
schnell eine große Schadenssumme aus vielen so genannten
Sachbeschädigungen zusammengerechnet…

Die
Polizei zieht das auch weiterhin durch. Zum einen in der Öffentlichkeitsarbeit
und auch die Polizeiermittlungen laufen nach diesem Ansatz ab. Die Vermerke
sind immer noch umfangreich, im Abschlussbericht steht dann: Der Beschuldigte
wurde mit dem Tag XY identifiziert, ihm liegen 275 Fälle zur Last.  
Die
Staatsanwaltschaften sind schon vorsichtiger geworden, weil sie damit schon reihenweise
auf die Nase gefallen sind, wenn sie solche Anklagen erhoben haben. Die kriegen
sie mittlerweile vom Gericht zurückgeschickt. Jedenfalls die großen Staatsanwaltschaften,
die damit schon die Erfahrungen gemacht haben, erheben so eine Anklage gar
nicht mehr. Die fragen die Polizeiermittler dann schon, was demjenigen wirklich
nachgewiesen werden kann – das ist im Wesentlichen nur die Tat, bei der er auf
frischer Tat gebustet wurde.

Man merkt, dass dich das Vorgehen der
Polizei stört. Ist doch eigentlich alles ganz easy, wenn letztlich nur
wegen einer Tat verhandelt wird.

Martialisches Auftreten = Bedrohungsgefühl
= Sicherheitsbedarf
Damit
wird aus einer Tat bei den Ermittlungen ein Riesending, wo die AG Graffiti monatelang
ermittelt hat. Da werden irrsinnig viel Steuergelder verblasen, für eine
Anklage in einem Fall der Sachbeschädigung. Das ist wirklich absurd, das
waren früher Ermittlungsverfahren, die sich über ein Jahr hingezogen haben, ein
wirklich irrsinniger Aufwand mit vier bis fünf Aktenordnern voll.
Das
Missverhältnis zwischen Aufwand und der Tat ist frappierend. Schon allein vom
Effizienzgedanken könnte man die Ermittlungen um 95% zurückfahren, wenn die
Polizei sich eingestehen würde, dass man den Leuten nur das anhängen kann,
wobei sie gebustet wurden. Es wären sehr schnell erledigte Sachen. Ich verstehe
auch nicht die Sturköpfigkeit, mit der die Polizei sinnlose Ermittlungen führt.
Nun kann man natürlich sagen, es ist präventiv-polizeiliches Denken, den
Ermittlungsdruck hochzuhalten, um die Szene zu verunsichern. Möglicherweise
wirkt das ja auch ein bisschen, möglicherweise erhöht das aber auch den Reiz in
der Szene – das ist ja ein Katz-und-Maus-Spiel.

Was wäre denn deiner Meinung nach ein
adäquater Umgang mit den vorwiegend jugendlichen Tätern?

Vieles
spielt sich im Bereich des Jugendstrafrechts bis 21 Jahre ab. Wenn man bedenkt,
dass Graffiti ja doch eine jugendtypische Geschichte ist, sollte man nicht zu
hart reagieren.  Das geht eh meist
vorbei. Zweitens meine ich: wenn man es mit Jugendlichen zu tun hat, muss man
die Standards des Rechtsstaates besonders ernst nehmen. Weil Jugendliche sich
nicht so gut wehren können. Jugendliche muss man noch sehr viel gründlicher
belehren, Jugendliche darf man noch sehr viel weniger versuchen, hinters Licht
zu führen oder einzuschüchtern. Das ärgert mich immer, wenn die Polizei gegen Schwächere
holzt. Deswegen macht es mir immer noch Spaß, da zu verteidigen. Weil es eine
gute Begründung gibt, zu sagen: Leute, ihr müsst euch an die Regeln halten bei
euren Ermittlungen.

Du sagst, wenn man auf frischer Tat
ertappt wurde, wird man sich für diese Tat in jedem Fall verantworten
müssen. Und wenn man in unmittelbarer Tatortnähe erwischt wird, aber keine
Dosen bei sich trägt?

Es geht um mehr als
Sachbeschädigung …
Man
kann eben immer noch Glück haben. Die Chancen steigen, wenn man nicht direkt
beim Malen erwischt wird. Da hängt es dann von vielen Einzelheiten ab. Beispielsweise
ob man eine Dose bei sich hat, ob man Farbspuren an den Fingern hat. Wenn drei
Leute in der Nähe von einem frischen Piece gebustet wurden, kann es theoretisch
einer von denen gewesen sein, der das Piece alleine gemacht hat. Man wird nicht
sagen können, alle drei werden dafür verurteilt, weil sie alle drei in der Nähe
waren. Es wird schwierig, da einen Tatnachweis zu führen. Es wird immer wieder versucht
zu sagen, wenn drei Leute zusammen unterwegs sind, dann haben sie es zusammen
gemacht oder einer hat zumindest Schmiere gestanden oder einer hat die Dosen
transportiert – also irgendwie haben sie zusammengewirkt. Wenn man es aber hinterfragt,
gibt es natürlich keinen tatsächlichen Anhaltspunkt für diese Unterstellung. Es
könnte genauso gut sein, dass einer nur einfach so mitgekommen ist, weil das
seine Freunde sind, ohne diese zu unterstützen oder Schmiere zu stehen. Möglicherweise
hat er die Freunde davon abhalten wollen. Ich habe solche Fälle gehabt, wo die
Leute alle drei freigesprochen werden mussten, weil man nicht ohne Zweifel
sagen konnte: war es einer? Wenn ja, welcher? Oder waren es zwei? Dann wäre
einer freizusprechen. Und wenn man keine Anhaltspunkte dazu hat, wer es konkret
gewesen ist, solange muss man im Zweifel alle freisprechen.

Können denn Farbspuren an den Händen
oder Klamotten durch Analysen im Nachhinein Rückschlüsse auf andere
Sachbeschädigungen zulassen?

Ich
hab zwei oder drei Mal erlebt, dass die Polizei sowas gemacht hat, da ist nie
etwas bei rausgekommen. Letztlich kann man nicht viel mehr feststellen, als dass
es grün ist, blau oder silbern. Farbe ist Massenware, die in Riesenchargen
hergestellt wird, da kommt nichts bei raus.
  
Nicht immer
Freund und Helfer…
Sind denn Handschriftanalysen ein
Mittel, um einem Verdächtigen mehrere Taten zuzuordnen?

Das
funktioniert auch nicht. Die Sonderkommission Graffiti in München war eine ganze
Zeit lang ganz scharf drauf. Die hatten einen Fachverständigen, der das ein
paar Mal probiert hat. Handschriftenanalysen im Graffiti sind ein zweifelhaftes
Geschäft und alle seriösen Graphologen sagen, das funktioniert nicht bei
Graffiti, weil der Auftrag viel zu unspezifisch ist. Das hängt vom Wind ab, vom
Untergrund, wie nah oder dicht man mit der Dose am Untergrund ist. Wenn man
einen Stift führt, dann drückt der unterschiedlich stark aufs Papier, er
hinterlässt damit charakteristische Spuren und Eindrücke im Papier, das fehlt
alles beim Graffiti. Polizisten versuchen sich auch als Hobbygraphologen und
behaupten, der Unterschwung bei einem Buchstaben sei charakteristisch und damit
der Urheber identisch. Das sieht möglicherweise auch ähnlich aus, aber es
reicht nicht für den Nachweis, dass zwei Schriften den gleichen Urheber haben. Einen
graphologischen Beweis gibt es nicht.

Und wenn bei Hausdurchsuchungen Fotos
ohne Personen gefunden werden, die frisch gemalte Werke dokumentieren?

Ein
Blackbook ist ein schwerwiegendes Indiz. Da kann man schwer gegen an
argumentieren. Klar kann man sagen, ich sammle halt Fotos von schönen
Graffitiwerken, aber es wird alleine nicht reichen.  Wenn weitere Verdachtsmomente hinzukommen, ist
man dran.

Sind Hausdurchsuchungen eigentlich die
Regel oder wird das nur in speziellen Konstellationen durchgeführt?

Nach
meinen Erfahrungen sind Hausdurchsuchungen die Regel. Das wird vermutlich auch aus
Selbstzweck  gemacht. Die wollen einfach
ein bisschen schocken und das wirkt ja auch. Wenn man die Bude durchsucht
kriegt, erfährt man eine sehr unmittelbare staatliche Reaktion.  Wenn man noch zu Hause wohnt, kriegt man noch
Ärger mit den Eltern und so weiter. Richtig finden tut man in der Regel nichts.
Wenn man Dosen findet – das beweist noch gar nichts.
Wenn man sich Internetkommentare unter
Zeitungsmeldungen durchliest, heißt es oft: „Straflager! Hände abhacken! Alles
selbst mit einer Zahnbürste wegmachen lassen!“. Welchen Einfluss hat
einerseits die öffentliche Stimmungsmache auf ein Verfahren oder wie
nehmen die Verfahren Einfluss auf die öffentliche Meinung? Kriegt man das
in der juristischen Auseinandersetzung mit oder ist eine relativ nüchterne
Angelegenheit

Also
ich hab die Erfahrung gemacht, dass die Justiz im Großen und Ganzen relativ
nüchtern mit Graffiti umgeht. Ich sag das ganz vorsichtig, es gibt natürlich
auch Ausnahmen. Aber im Großen und Ganzen habe ich die Erfahrung, dass die
Justiz das relativ nüchtern als typische Jugenddelinquenz behandelt. Es gibt
eine Verhandlung, aber meist kommen Sozialstunden dabei raus, zumindest in
Hessen. Das mag in Nürnberg anders. Auch in Hessen ist man beim zweiten oder
dritten Mal mit Jugendarrest dran, was schon relativ massiv ist. Aber das Gros
der Fälle wird auf relativ niedrigem Niveau verhandelt. Es gibt immer große
spektakuläre Sachen, wo die Justiz sich ein bisschen aufbrezelt und wo es um
mehr geht, aber so die üblichen Tags und Pieces, das ist Massengeschäft. Dass
die Polizei in der Außendarstellung und den Ermittlungen anders agiert, habe
ich ja schon gesagt.

Wo wird es denn ernster: wenn bekannte
Namen im Spiel sind oder spielt der Ort eine Rolle, z.B. beim
Trainwriting?

Schwer
zu sagen. Also ich vermute, dass die Justiz davon ausgeht, wenn sie gegen
Trainwriter verhandelt, dass sie es schon eher mit massiver tätigen Leuten zu
tun hat. Häuser antaggen ist halt allgegenwärtig, das machen wahnsinnig viele.
Wer Züge bemalt muss schon ein bisschen mehr drauf haben, da gucken sie dann
vielleicht schon genauer hin. Aber es geht doch meistens ganz vernünftig aus.
Die größte Gefahr ist eigentlich auch nicht das Strafurteil, sondern
Schadensersatzforderungen im Zivilverfahren. Das ist für viele das wirklich
Gefährliche an der Geschichte.

Wozu führt das, wenn die meist
jugendlichen Urheber nicht zahlen können? Sind die Eltern dran?



Die
Eltern haften nicht, sie können natürlich zahlen, aber sie sind rechtlich nicht
verpflichtet. Die Geschädigten können den Jugendlichen theoretisch 30 Jahre
nachmachen, in der Praxis eher nicht. In der Praxis versuchen viele Geschädigte
sich zu einigen, mit Ratenzahlungen oder auf einen Bruchteil der eigentlichen
Schadenssumme. Die Bahn verfolgt das so halb systematisch. Die haben auch
sicher viele schlechte Erfahrungen gemacht, weil man den Leuten nachweisen
muss, dass sie es gewesen sind. In allen Fällen wo die Betroffenen im
Strafverfahren freigesprochen worden sind, ist auch zivilrechtlich nichts zu
holen. Und wenn die Leute verurteilt werden im Strafverfahren, dann hat die Bahn
zum Beispiel eine echte Chance, auch einen Schadensersatzanspruch zu beweisen,
aber dann müssen sie immer noch an ihr Geld kommen.
  
Gibt es etwas, was neben dem Busten auf
frischer Tat oder eindeutigen Fotos oder Filmen zu Hause zu einer Anklage
führen kann?

Die
größte Gefahr ist, gebustet zu werden. Die nächstgrößere Gefahr ist der
Mitwriter, der gebustet wird und der aus Angst singt, wie ein Vögelchen. Das
ist echt gefährlich. Wobei man auch sagen muss: die Leute wissen auch vieles
nur vom Hörensagen, was in der Szene halt so erzählt wird, das reicht in der Regel
allein nicht für eine Anklage, aber wenn dein Mate, mit dem du immer zusammen
unterwegs bist, auspackt, dann bist du dran.

Wirkt sich denn ein Geständnis
strafmildernd aus?

Gar
nicht mal so richtig.

Und Nachteile hat es doch auch nicht,
wenn man in der polizeilichen Vernehmung schweigt?

Wer sich nicht wehrt,
lebt verkehrt.
Im Gegenteil,
das hat nur Vorteile. Aber die bei der Polizei sind natürlich Schlitzohren, die
wissen genau, wie man Leute beeindruckt.  Die sagen, wir behalten dich jetzt so lange
hier, bis du alles erzählt hast. Jetzt ist es drei Uhr morgens und du musst
morgen um 7 Uhr auf deiner Lehrstelle sein, und wenn du jetzt zügig nach Hause
willst, musst du auspacken. Oder wenn du es jetzt nicht erzählst, dann
durchsuchen wir deine Wohnung. Die haben schon sehr subtile Methoden, um Leute
weich zu kochen.

Wie lange darf man festgehalten werden?

Eigentlich
nur so lange, bis die Identität geklärt ist. Also wenn man einen
Personalausweis dabei hat, dürfen sie einen eigentlich gar nicht festhalten.
Nur so lange bis geklärt ist, ob die Daten auf dem Personalausweis auf einen
zutreffen.

Man hat ja das Recht auf ein Telefonat…

Man
darf telefonieren und vor allem müssen sie einen belehren, dass man das Recht
hat zu schweigen und das Recht hat jederzeit einen Anwalt hinzuzuziehen… Aber
die können einem trotzdem die Hölle heiß machen, das ist ja klar – also beim
ersten Mal jedenfalls. Es ist eine unangenehme Situation.  Man hat die Hoffnung, irgendwie nochmal davonzukommen
und will möglichst schnell weg und da kommt man schnell in eine Situation, wo
man ins Reden gerät. Und wer einmal anfängt zu reden, der muss dann
weiterreden.

Über die ausführlichen Ermittlungen der
Polizei hatten wir schon gesprochen. Welche Repressions- und
Überwachungsmittel kommen denn zum Einsatz? Man sieht Kameras, die
Sonderkommissionen hattest du schon angesprochen…

Videoüberwachung
am Güterbahnhof
Es
gibt schon tolle Sachen, es wird manchmal ein großer Aufwand betrieben. Ich hab
schon erlebt, dass tatsächlich bei einem Verdächtigen so ein GPS-Peilsender ans
Auto gewanzt wurde. Ich hab gedacht: das gibt’s doch nicht, wegen so einem
Jugendkriminalitätskleinkram haben die dem acht Wochen lang einen Peilsender
ans Auto gehängt, weil sie gucken wollten, ob der nachts auf den Yards
unterwegs oder wo der sich so rumtreibt.

Krass. Und wie ist das mit
Telefonüberwachung?

Nein
das geht nicht, Sachbeschädigung ist kein Delikt, bei dem Telefonüberwachung
gerechtfertigt ist. Was ich noch erlebt habe, dass DNA-Proben genommen wurden,
um zu schauen, ob man an Dosen oder Zigaretten im Gleisbett dieselben DNA-Spuren
findet. Das halte ich auch für einen übertriebenen Quatsch. Die
Ermittlungsarbeit ist ein Riesengeschäft für die Polizei. Ganze Abteilungen
werden damit am Leben gehalten.

Nicht nur für die Polizei. Wachschutz,
Reinigungsfirmen, Entwicklungen von leicht zu säubernden Untergründungen –
volkswirtschaftlich ist Graffiti ja nicht unbedingt ein Schaden…

Das
stimmt.

Im Internet gibt es ja verschiedene Graffiti-Blogs
und -Portale. Hast du selbst schon mal mitgekriegt, dass Erkenntnisse
daraus zur Strafverfolgung genutzt wurden?

Big Brother is watching…

Die
Polizei beobachtet diese Blogs, das ist klar. Ich habe es noch nie erlebt, dass sie konkret Nutzen draus ziehen konnten. Die Blogs sind dann doch so anonym, dass es der Polizei nicht gelingt, einzelne Bilder zuzuordnen. Zumindest nach meinem Wissen.

Wenn man sich irgendwo positioniert,
dass man Graffiti gut findet, kriegt man auch oft zu hören: was wäre, wenn
das an deinem eigenen Haus wäre und so weiter. Wie stehst du zu den
Eigentümern und deren Ärger? Kriegst du das in der Verhandlung mit, wie
die auftreten?

Also
erstens kann ich die Eigentümer gut verstehen, die sich ärgern, wenn ihre Hütte
vollgetaggt wird. Oft ist es ja auch einfach blöd, was da draufgetaggt wird.
Überraschenderweise sind die meisten Eigentümer, die ich erlebt habe, aber nicht
rachsüchtig gewesen. Die sagen: Naja, ist blöd, ich will das nicht, aber wenn
der junge Mensch sich entschuldigt oder irgendwie zusieht, dass das wieder
beseitigt wird, dann ist das auch ok. Die Eigentümer sind oft viel maßvoller,
als die Polizei. Bei der Polizei oder in polizeinahen Kreisen gibt es Leute, die
richtig die Hysterie schüren.  Es seien
Milliarden an Schäden, die angerichtet werden und man müsse ganz hart dagegen
angehen.  Das geht auch bisschen in
Richtung broken-windows-Theorie, das heißt,

Nicht alle Hauseigentümer sind über
vollgetaggtes Eigentum begeistert.

wenn man es zulässt, dass unsere
Straßen verunstaltet werden, dann nimmt das Chaos Überhand, dann werden auch
Gewalttaten zunehmen. Das ist durchaus eine Denkrichtung, die dahinter steckt.
Und viele Hauseigentümer, die ich kennengelernt habe, sind sehr viel
gelassener. Die sagen: Jugend baut halt Scheiß, das haben wir auch gemacht. Wir
haben halt andere Dinge gemacht, uns auf der Kirmes gehauen, oder was auch
immer. Und heutzutage hören sie Hip-Hop und malen die Häuser an, das wird schon
wieder aufhören und dann sollen sie es halt wieder überstreichen. Eine sehr
vernünftige Haltung.

Hat denn deine anwaltliche Aktivität von
des Writing Verdächtigten deinen Blick auf Graffiti verändert? Du sagtest,
du bist da eher zufällig zu gekommen. Nimmst du das jetzt stärker wahr oder
ist das eher weiterhin das Arbeitsthema?

Um
ehrlich zu sein, ich bin nicht .. also, wie soll man sagen (lacht). Es
interessiert mich nicht in erster Linie, ich höre andere Musik als die Writer
und wahrscheinlich schätze ich auch andere Kunst. Aber ich erkenne das schon
an, dass das ein interessanter Kunstbereich ist. Es ist bloß nicht so mein
allererstes Interesse.

 

Wir bedanken uns für das ausführliche Interview und möchten jedem, der sich dem Vorwurf der Sachbeschädigung ausgesetzt dringend empfehlen, bei der Vernehmung KEINERLEI Aussage zu machen, lediglich der Verpflichtung zur Personalienangabe nachzukommen, sich anwaltliche Unterstützung zu nehmen und Ruhe zu bewahren. Es ist immer ratsam, sich erst mit jemandem zu besprechen und Akteneinsicht zu nehmen, um einen verlässlichen Überblick über die Vorwürfe und Beweise zu erhalten. Und inwieweit man sich zu den Vorwürfen einlässt, kann man dann immer noch vor Gericht entscheiden.
Auf die farbenfrohe Hilfe hatten wir schon hingewiesen, mit dieser Initiative ist auch ein weiteres Interview geplant.


Links:
Rechtshilfe-ABC aus Genthin
Street Art is not a crime mit kurzen Verhaltenstipps von inforiot.de
Weitere Site mit Rechtstipps
Der bekannte Rechtsanwalt Dr. Gau hat auf seiner Homepage zahlreiche Urteile zusammengestellt, die die Rechtsprechung zu verschiedenen Aspekten nachvollziehbar machen.

2 Antworten

  1. Anonym sagt:

    baba typ

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