Interview: Lemon (MFS / XQ)
- DKO: Wir freuen uns euch ein neues Special mit kleinem Interview zu präsentieren.
Diesmal haben wir echten Oldschool Stuff aus Jena aus der Zeit von ~1993-2003 an Board.
Für einige sind es gute Erinnerungen an eine bunte Stadt, für andere der erste Kontakt
mit bunten Wänden oder gar der Startschuss für eigene Graffiti. Aber genug
Einleitung – erzähl doch Mal wie das damals alles angefangen hat und wie du zum Malen
gekommen bist.
Lemon: 1995, mit zarten 13, ging es los. Ich hab mich schon als Kind immer mit Zeichnen
befasst. Irgendwann am Anfang der Pubertät hab ich Wind von Graffiti bekommen, schnell
ein paar Gleichgesinnte kennen gelernt, und es war um mich geschehen! 1996 haben
CERO, später LAOZ und ich (damals NEON) die USA Crew gegründet. 1997 haben wir
SKEAN kennengelernt, mit dem ich ab dann sehr intensiv zusammen gearbeitet habe. Im
selben Jahr, oder 1998 – das weiss ich nicht mehr genau – haben wir die XQ Crew
gegründet und SODA stieß zu uns.
DKO: Was waren eure Einflüsse? Gab es damals jenseits vom Internet irgendwelche
besonderen Mags, Filme oder Reisen, die dich inspiriert und geprägt haben?
Lemon: Du sagst es: es gab kein Internet. Meine Einflüsse waren echte Graffiti. Ich erinnere
ich mich, wie ich zu bestimmten Bilder ‘gepilgert’ bin – etwa zu EARL’s und
KADMANDOOS Wholecars am Kassablanca, aber auch diversen Bombings von z.B.
MHS – den Vorläufern der MFS; EAP und AOK. Und das “Graffiti Art #1” von Schwarzkopf
und Schwarzkopf. Das war meine Bibel! Was mich besonders faszinierte war Dortmund.
RIO, SAK, SKE – das waren meine Helden, und ich habe versucht so zu malen.
DKO: Heutzutage gehste in den nächsten Baumarkt oder Skateladen und bekommst eine
riesen Auswahl an Farben zum Streichen und vor allem Dosen. Wie war das bei dir?
Woher hattest du dein Material und wie sah es mit Selbstbau aus?
Lemon: Baumärkte gab es damals natürlich genauso, aber keine Hiphop-Stores. Zumindest
nicht in Jena (bzw. eröffnete der erste derartige Laden erst in den 2000ern). Wir sind
seinerzeit tatsächlich nach Berlin ins Downstairs gefahren um Dosen zu kaufen. Ein
Wochenendticket war spottbillig und es war ein Abenteuer! Später gab es einen Writer,
der privat Dosen im Keller an die Szene verkaufte.
Fassadenfarbe haben wir 1998 entdeckt. Erst wurde, nur weiss grundiert, und alles mit
Farbe aus Sprühdosen versehen. Doch wir fanden schnell heraus, daß abgetönte
Fassadenfarbe ein wesentlich günstigerer Flächenfüller ist. Ab 1999 habe ich viel
experimentiert mit abgelöschtem Kalk, den ich mit Silikon mischte. Andere malten
pechschwarze Fill-Ins mit Teer. Es ging immer um Sachzwänge. Wir wollten viel und groß
malen und mussten die Kosten so gering wie möglich halten.
Besonders erwähnenswert ist vielleicht noch der ‘Kannenarm’, eine Konstruktion, an der
eine Dose befestigt und mittels Ausleger in 2 Metern Höhe ausgelöst werden konnte. Es
gab mehrere Ausführungen, die alle in der Werkstatt meines Vaters entstanden – mit
seiner fachmännischen Hilfe. Dass wir damit Wholecars malen, war ihm allerdings nicht
klar.
DKO: Wie waren die Writer damals in der Region organisiert – gab es beereits eine Szene
mit Rivalitäten oder war das eher freundschaftlich?
Lemon: Die Szene Jena war ausserordentlich freundschaftlich und kollegial. Diese sogenannte ‘Szene’ war mehr eine
Fussballmannschaft mit ein paar Ersatzspielern. Es gab im wesentlichen 2 Crews – MFS
und XQ – und einen harten Kern von 4-6 aktiven Leuten. Ein weiterer Aspekt war wohl,
das viele Writer letztlich gut erzogene Mittelstandskids waren. Wir gingen Alle aufs
Gymnasium. Es gab kaum diesen ‘Ghetto-Vibe’. Es verstanden sich auch die Wenigsten
als klassische Hiphop B-Boys. SKEAN, ich und viele Andere mochten elektronische Musik,
ich persönlich damals noch Rock. Wir verstanden uns als Writer, aber nicht zwingend als
Angehörige der Hiphop-Kultur.
DKO: Graffiti ist eines der klassischen 4 Elemente des Hip Hop. Welche Bedeutung hatte
Hip Hop für dich?
Lemon: Die letzte Antwort hat das ja schon ein bisschen deutlich gemacht. Ich persönlich
habe als richiger kleiner B-Boy angefangen. Alles ganz orthodox, Rapmusik hören, Malen,
Skateboard fahren (das hab ich allerdings schnell wieder gelassen, das war nix für mich).
Ich entwickelte mich aber schnell in eine andere Richtung. Vor Allem was meinen
Musikgeschmack angeht – und Musik war mir immer sehr wichtig. Da kam irgendwann
Reggae hinzu und Rock (wir hörten damals The Doors wie die Wahnsinnigen). Später
elektronische Musik. Ich habe die Hiphop-Kultur immer respektiert als Ursprung von
Writing. Das empfinde ich bis heute so. Ihr zugehörig fühlte ich mich aber nur bis ich etwa
16 war, dann identifizierte ich mich anders.
DKO: War es einfacher Züge und Spots zu malen verglichen mit heute? (Ich denke hier,
dass nicht alles be- und überwacht war und die Bevölkerung nicht so viel Kontakt mit
Graffiti hatte)
Lemon: Ich bin heute nicht mehr aktiv. Ich mache der Nostalgie halber alle paar Jahre mal
ein Piece an unproblematischen Stellen – von daher kann ich es nicht wirklich
vergleichen. Ich denke die Kids heutzutage wachsen in eine grundsätzlich andere
Situation von Öffentlichkeit hinein. Alle sind vernetzt, jeder hat ein Telefon. Jeder Passant
ist eine Gefahr. Früher war das anders, und ich stamme sowohl aus der Zeit vor diesem
Zustand, als habe ich auch den Wechsel zu den modernen Umständen miterlebt. Vor
2000 waren Passanten nur so gefährlich wie die tatsächliche, physische Bedrohung die
von ihnen ausgeht. Wenn Einer kam, musste man nur feststellen ob er ein Polizist oder
Wachmann ist. Wenn nicht war das eigentlich nicht so tragisch. Oder vorbeifahrende
Autos. Was sollen die machen ausser anhalten und uns fragen was wir da machen. Heute
muss man, wenn man gesehen wird, davon ausgehen daß 5 Minuten später die Polizei da
ist, weil Jeder immer die Polizei alarmieren kann.
DKO: Wie stehst du zur Entwicklung der Szene? Verfolgst du aktuelle Malerein lokal oder
weltweit?
Lemon: Ja, ich verfolge Writing sehr interessiert. Ich dokumentiere beispielsweise
Trainbombing in Niedersachsen, wo ich lebe. Städte wie Hamburg und Hannover
faszinieren mich sehr. Hier gibt es eine aktive und innovative Szene. Künstler wie TAPS &
MOSES oder RAGE (meiner Meinung nach der innovativste Writer in Deutschland!) finde
ich toll! Vor Allem RAGE verbindet auf total spannende Weise Writing mit Streetart,
Design und letztlich Malerei. Seine Arbeit und Entwicklung erinnert mich an Impulse, die
wir am Ende unserer aktiven Karrieren hatten. Vor Allem SKEAN und ich haben Ideen
entwickelt, in denen wir immer wieder die Grenze von Writing zu Street Art oder anderen
visuellen Kunstformen überschritten.
DKO: Wie haben sich andere im Bekanntenkreis entwickelt? Haben manche einfach
aufgehört oder den Weg als freie Künstler eingeschlagen oder sind beim klassischen
Malen geblieben?
Lemon: Die Mehrheit der Writer meiner Generation und der vor mir haben Malerei bzw.
Bildende Kunst studiert. Leider weiss ich nur von Wenigen, was aus Ihnen wurde. Einer ist
Kunsthistoriker, einige haben Jobs in Werbung und Mediengestaltung. Ein anderer und ich sind
interessanterweise Musiker geworden – professionell. Ich arbeite mit klassischer Musik und Orchestern.
DKO: Wie stehst du zu der Entwicklung der Medien? Liest du traditionelle Mags oder hat
sich das alles hin zum Onlineangebot von Instagram, Blogs und Websites gewandelt?
Lemon: Mags habe ich schon früher nur selten gekauft. Die mochte ich nie. Heutzutage
bekomme ich das Meisste über Instagram mit. Abgesehen von dem Graffiti, daß man in
der wirklichen Welt sieht. Ein Trend, den ich begrüße, ist der, dass einzelne Künstler Bände
ihrer Arbeiten herausgeben: RAGE, TAPS & MOSES oder RAZOR haben das gemacht.
Wir haben Sowas früher auch versucht, aber damals war das wesentlich komplizierter als
heute.
DKO: Willst du noch umbedingt was loswerden?
Lemon: Kids, nutzt diese Zeiten! Ich glaube, es war nie besser, Graffiti zu machen. Es gibt
eine ganze Industrie, die Euch mit erstklassiger Technologie ausstattet. Ich erinnere mich
an Sparvar-Dosen, auf denen polemisch stand ‘nicht für die Anwendung im
Aussenbereich’ und die bei 0 Grad Aussentemperatur eh versagten. Heutzutage steht
drauf ‘hochdeckend’ und ‘besonders leise’. Man kann seine Bilder durch Social Media
weltweit bekannt machen. Früher konnte man sein Fotobuch rumzeigen, oder mit Glück
und der Gunst der Redakteure in ein Magazin kommen. Nutzt diese Möglichkeiten. Aber
arbeitet gewissenhaft. Werft Eure leeren Dosen nicht einfach in die Gegend. Respektiert
andere Kunst, die sich den öffentlichen Raum mit Euch teilen. Und zwar nicht nur die
Bilder anderer Writer, sondern auch die Murals von Streetart-Künstlern, Skulpturen und
Bauwerke.
DKO: Dann erstmal danke für deine Zeit und hier noch ein kurzes Frage-Antwort:
Immer einen Stift auf Tasche? Früher natürlich! Heutzutage wohl eher den Kuli vom Notizbuch.
Chrom oder Bunt? Ich bin ein großer Fan von buntem Bombing!
Lesbar, abstrakt oder Wildstyle? ‘Dick, blockig und voll erkennbar!’
Lienblingscaps? Fatcap
Tags oder Sticker? Beides
Rap oder Techno? Roots Reggae und Zeitgenössische Musik des 20. Jahrhunderts
Grüße gehen raus an ..? Die Veteranen von MFS und XQ und die Writer der aktuellen Jenaer Szene.
DKO: Surft auch mal hier auf Instagram vorbei: @jenaoldschool (“Old School Graffiti in und aus Jena, 1993 – 2003”)!
Weiteren MFS-Oldschool-Stuff zum Lesen gibts hier im Interview mit Pome auf hiphop.de (Backup: Interview mit Pome).
AMEN! So viel Qualität und Einzigartigkeit – das vor ca 20 Jahren. Ihrer Zeit voraus. Danke für das Interview, XQ+MFS sind seit meinem ersten Besuch in Jena Helden für mich.
Ja, starkes Ding und interessantes Interview!
Als ich angefangen habe regelmäßig in Jena einen Freund zu besuchen (so 2008 – 2013) habe ich auf jedenfall auch noch einiges von MFS und XQ gesehen.
Schickes interview, finde so was immer spannend.
Mega gut – danke für diesen interessanten Einblick. Toll auch wie man hier sehen kann wie sich die normative Definition von Graffiti auflösen kann.
…den “Ghetto-Vibe” hatten Crews wie HB XSR NBK …. Gewalt kam leider auch öfter vor …interessant wie jeder so seine aktive Zeit erlebte…Grüße zurück, Lemone !!
kamen HB XSR NBK nicht später dazu?
ne ne….oder noch SEK MOA 🙂
Übel und co…waren auch ghettolike ha ha!
Nicht mehr lange und die Sachen sind verjährt (sind GLAUBE ich 30 jahre, bin aber nicht 100pro sicher) vlt erzählen dann ja auch mal ein paar mehr leute geschichten von “damals” vlt ja auch Gewaltgeladene Ghettogeschichten. Nichts für ungut, aber so akademikerkinder-graffiti fehlt irgendwie immer was, ich meine klar, die stehen eigentlich meistens auf bunt, irgendwie was schönes erschaffen oder so aber ist einfach nicht das selbe, wie zu malen um dem ganzen hass und stress von zuhause los zu werden oder mal kurz zu vergessen das schon wieder der briefkasten voller gelber umschläge steckt.
…schaue beim Pome-Interview…da wird es schon ein wenig angedeutet 😉
wo gibts denn ein interview mit POME ? ..auf der kollektiven finde ich das nicht.
Ist doch am Ende vom Beitrag verlinkt!
beim Backup auch mit Bildern!
so verballert, voll uebersehen.
Großartig. Vielen Dank für diesen wunderbaren Impuls aus der Jenaer Vergangenheit.
Danke die Worte und Bilder! In Thüringen gabs in verschiednen Ecken Graffiti was sich unterschiedlich entwickelte…. Allerdings war man sich ab der 2.-3. Generation in Ost-Thüringen und Mittel-Thüringen doch recht ähnlich. Konnte man auch immer gut an der A4 verfolgen.. sobald man Höhe Jena war sah die Sache anderes aus. XQ.. das +-0 Thüringens!
isso
verstehe die analogie sehe deine kommentare aber als rein destruktiv, weis nicht wo dein frust herkommt, versuche das bitte aufzuarbeiten ! ich versuchs jetzt auch.
also ich verstehe die analogie absoulut nicht tun. ich finde sein satzbau gewöhnungbedrüftig am been yo