Brazil am Main.

Die Schirn hatte uns neben anderen Bloggern zu einer Preview-Führung zur “Street-Art Brazil”-Ausstellung eingeladen. Auch wenn man die Entstehung der Werke schon seit einigen Tagen an diversen Orten beobachten kann (die Werke befinden sich ausschließlich outdoor und sind somit kostenfrei zu besichtigen) und die Künstlervorstellungen schon bei Youtube zu finden sind, hat sich die Teilnahme doch gelohnt. Kuratorin Carolin Köchling hat das Konzept und die Schwierigkeiten bei der Umsetzung engagiert dargestellt und konnte einen fundierten Überblick über die Entwicklung von Graffiti in Brasilien geben. In den Videoportraits kommt aber natürlich schon viel von dem rüber, dennoch ist die direkte Vermittlung nochmal was anderes.

Die bildhafte Sparte des brasilianischen Graffiti mit ihrem Murals steht also im Fokus der Ausstellung “Street-Art Brazil” und das macht die Arbeiten breitenwirksamer, was auch bei der Arbeit auf Brasiliens Straßen eine Absicht der Künstler/innen ist. Die ausgewählten Künstler/innen betonen die Bedeutung, die sie der Auswahl der Orte ihrer Kunst beimessen: Die Interaktion der Kunst mit Passanten, das Aufgreifen von Geschichten der Umgebung oder die bewusste Ergänzung des Stadtraums mit den Motiven sind wesentlicher Bestandteils des Konzepts. Aber auch sonst bieten die Bilder oft einen durchdachten Hintergrund, sie erzählen Geschichten oder zitieren ganz bestimmte Symbole.
Das ist schon komplex und was anderes als pures Bombing oder Stylewriting, aber die Künstler/innen haben diese Bereiche des Graffiti auch (zumindest zum Teil) durchlaufen – bis hin zum Pixacao, welches im Gegensatz zu den bildhaften Werken eine Kommunikationsart innerhalb der Szene ist. Und sie sind zum Teil Pioniere des Graffiti in einem Land, in das die Einflüsse von Graffiti zwar gelangt sind, allerdings über anfangs sehr eingeschränkte Wege. Auch nach dem Ende der Militärdiktatur wurden die europäischen Styles nicht einfach nur kopiert – daraus sind dann solche eigenen Ausdruckswege wie Pixacao oder eben die großen Murals als Sparte entstanden.

Letztlich kann man es natürlich auch so halten, wie mit Kunst allgemein: Es kann einem völlig egal sein, was die Künstlerin und der Künstler sagen will, letztendlich kommt es ja darauf an, was die Werke in den Betrachter/innen anstoßen.

Die Konzeption der Ausstellung ist allerdings so angelegt, dass ein paar Hintergrundinfos die Wahl der Orte und Künstler/innen verständlicher machen, zumal die Werke nicht mit Tags oder Signaturen gekennzeichnet sind. Auch in Brasilien wird dies von den Künstler/innen auf der Straße nicht gemacht – ihr Wiedererkennungswert sind die Bilder, die zum Teil ganze Viertel prägen.

Die Spots in Frankfurt sind in enger Absprache mit den Künstler/innen ausgewählt worden und einiges ist daran bemerkenswert. Zezão Werk schmückt die Decke des Gangs im linken Schirnflügel. Da Zezão auch gerne in der Kanalisation oder üblicherweise kaum wahrgenommenen Orten seine Bilder anbringt, wurde hierfür unter anderem die Unterseite des Ausstellungsflügels ausgewählt, der für Soloausstellungen genutzt wird. Es ist in meinen Augen sehr beruhigend, dass nicht versucht wurde, die Brennpunkte Frankfurts zu markieren – denn die sozialen Realitäten in São Paolo und Frankfurt sind nicht annährendmiteinander zu vergleichen. Auch scheint übrigens der Umgang mit Graffiti in Brasilien ein anderer zu sein – zwar gibt es auch zunehmend Bestrebungen, bestimmte Orte sauber zu halten und private Sicherheitsdienste sind nicht zimperlich – aber im Fokus der Verfolgungsbehörden steht die Kriminalität und nicht die kreative Missachtung von Eigentumsrechten an grauen Mauern.
Und Alexandre Orion – der durch seine in Abgasdreck gewischten Totenschädel bekannt ist – hat zum Beispiel den Ruß und Dreck der Metropole São Paolo in seine Farbe gemischt, mit der er das Hochhaus im Bankenviertel bemalt. Die Geschichte, die sich hinter Spetos Wandbild verbirgt, soll in dem Schaukasten der Kirche zur Erläuterung noch ausgehängt werden.
Für mich war es von Vorteil, dass ich dies alles bei der Blogger-Preview erfahren habe – da ich nämlich nicht über ein Smartphone verfüge, werde ich mit der App, die zu den Orten in der Stadt leitet und die entsprechenden Infos vermittelt, wohl nicht so viel anfangen können.

Einiges passt für mich aber auch nicht so richtig zusammen: In erster Linie ist es, dass Streetart/Graffiti hier in einer Form Platz eingeräumt wird, die mit der Realität in Frankfurt nicht so zusammenpasst. Legale Flächen gibt es nicht viele (vor allem nicht in zentraler Lage) und in der Stadt wird Graffiti generell viel und schnell entfernt. Dass in Bezug auf die Ausstellung aber prominente Flächen zur Verfügung gestellt werden, hat vermutlich mehrere Gründe. Imageaspekte oder das zu erwartende hohe Niveau der durch ein Museum ausgewählten Künstler/innen und die Massentauglichkeit ihres Artworks wären Punkte, die mir nicht so gefallen. Ganz besonders deutlich wird dies am U-Bahn-Wagen, der als Werbebahn für die Ausstellung auf der Linie U5 zu sehen sein wird. Denn bemalte U-Bahnen im Traffic gibt es in Frankfurt schon seit Jahren quasi nicht zu sehen (soweit ich weiß). Mangelndes Interesse von Writer/innen wird dafür weniger der Grund sein, als die allgemeine Auffassung, dass U-Bahnen in Frankfurt im Wesentlichen Grün sein sollten und nur im Falle zahlungskräftiger Firmen farblich abwechselungsreich gestaltet werden können.

Fazit: der Hintergrund der Künstler/innen ist hochinteressant, ihre Arbeiten sind komplex und beeindruckend, die Umsetzung der schwierigen Aufgabe, die ungenehmigte Kunst der Straße in eine Ausstellung zu holen, scheint durchdacht und sensibel. Die Unstimmigkeiten, die durch den Transfer aus den Favelas Brasilien in eine Provinzmetropole Hessens zwangsläufig entstehen, muss man wohl hinnehmen – denn ihre Wirkung entfalten die Kunstwerke live natürlich besser, als auf Fotos.
Es ist und bleibt eine Ausstellung, die Kunst aus ihrem eigentlichen Kontext herausreißt, aber durchaus Anlass bietet, sich mehr mit der Thematik “Graffiti in Brasilien” zu beschäftigen. Ob dies Auswirkungen auf Frankfurt, seine Szene und den Umgang mit Graffiti hat, kann ich nicht sagen.
Wer die Künstler/innen selbst näher kennenlernen will, geht schon jetzt zu den Ausstellungsorten und sucht den Kontakt oder geht zur Eröffnung am 4.9. um19 Uhr, wo vor der Schirn ein Straßenfest stattfindet.

Auf der Seite der Schirn gibt es natürlich alles zur Ausstellung, die Videoportraits finden sich HIER.

Visuelle Eindrücke der Werke gibt es natürlich auch schon bei den üblichen Verdächtigen, teilweise auch schon mehrfache Berichte – aber geht doch am besten auch selber gucken:
Stadtkind
Dosenkunst – Graffitis im Rhein-Main-Gebiet
Mainstyle
I love Urban Art

Eine Antwort

  1. Anonym sagt:

    Schön geschriebener Text, vor allem dem Fazit kann ich zustimmen.

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